Never Knowing - Endlose Angst
frag mich, was du willst.«
Es folgte eine lange Pause. Ich hielt den Atem an.
Schließlich fragte er: »Hast du Angst vor mir?«
»Ja.«
Er klang überrascht. »Warum? Ich bin immer nett zu dir gewesen.«
Ich wusste nicht einmal, wo ich mit einer Antwort darauf hätte anfangen sollen.
»Ich bin dran. Warum machst du diese Puppen mit den Haaren und Kleidern der Mädchen?«
»Damit sie bei mir bleiben. Warst du bei deiner Adoptivfamilie glücklich?«
Seine Frage traf mich unvorbereitet. Niemand hatte mich das je zuvor gefragt. Es hatte Momente des Glücks gegeben, doch sie waren stets in die Sorge gehüllt gewesen, wann mir dieses Glück wieder genommen werden würde. In meiner Erinnerung blitzte das Bild auf, wie ich mit Mom Fleischpastete gebacken hatte, als ich dreizehn war. In der Küche war es warm, und es duftete nach dem kochenden Fleisch, nach Knoblauch und Zwiebeln. Ihre Hand lag leicht auf meiner, als wir den Teig ausrollten, wir lachten über unseren Saustall. Wir hatten gerade die Pastete in den Ofen geschoben, als sie ins Badezimmer stürzte. Blass und schwach kam sie zurück, sagte, sie müsse sich hinlegen und bat mich, auf die Pastete aufzupassen. Als sie oben goldbraun war, holte ich sie vorsichtig heraus, ganz aufgeregt, sie Dad zu zeigen.
Als er eine Stunde später nach Hause kam, warf er einen Blick auf den Ofen, dann legte er seine schwere Hand auf meine Schulter und riss mich herum. »Wie lange ist der Ofen schon an?« Sein Gesicht war rot, an seinem Hals traten die Sehnen hervor.
Ich hatte solche Angst, dass ich nicht antworten konnte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Lauren Melanie an die Hand nahm und die Küche verließ.
»Wo ist deine Mutter?«
Als ich immer noch nicht antwortete, schüttelte er meine Schulter.
»Sie … sie schläft. Ich habe den Ofen vergessen. Aber …«
»Du hättest das ganze Haus abfackeln können.«
Er ließ meine Schulter los, aber ich spürte immer noch die Stelle, an der er mich festgehalten hatte. Ich rieb sie. Seine Stimme war gemein und hart, als er auf den Flur zeigte. »Geh!«
Doch davon erzählte ich John jetzt nichts.
»Manchmal war ich glücklich. Ich bin dran. Warum möchtest du, dass die Mädchen bei dir bleiben?«
»Weil ich einsam werde. Hast du dich gefragt, wer ich bin, als du noch klein warst?« Er wollte noch etwas sagen, hielt jedoch inne und räusperte sich, als fühle er sich unbehaglich. »Bin ich so ein Dad, wie du ihn dir gewünscht hast?«
Das konnte er doch nicht ernst meinen. Doch, er meinte es vollkommen ernst.
»Ich wollte wissen, wer mein richtiger Vater ist, wie er war, ja.« Und was sollte ich auf den zweiten Teil antworten? »Du … du hast eine Menge Qualitäten, die mir an einem Vater gefallen hätten.« Als ich die Worte aussprach, stellte ich fest, dass sie teilweise stimmten – er gab mir etwas, das ich mir den größten Teil meiner Kindheit von meinem Dad gewünscht hatte, etwas, von dem ich nicht zugeben wollte, dass ich es immer noch brauchte: Aufmerksamkeit.
Wechsle das Thema, Sara.
»Warum tötest du immer im Sommer?«
Er schwieg einen kurzen Augenblick. Dann sagte er mit gedämpfter Stimme: »Als es zum ersten Mal passierte, war ich gerade auf der Jagd. Ich stieß auf dieses Paar im Wald, und sie haben … du weißt schon. Der Mann hat mich gesehen.« Er sprach schneller. »Er kommt auf mich zu und holt aus. Also muss ich mich zur Wehr setzen, und dann sind wir auf dem Boden, und er schlägt mich
richtig
hart mit diesen albernen Faustschlägen, und er landet auch ein paar ordentliche Treffer, aber ich hatte mein Messer und
Zack
, geht es rein, direkt unter seinen Brustkorb.«
»So hast du ihn umgebracht?«
»Der nächste Stoß hat’s gebracht. Aber das Mädchen, sie schreit. Dann sieht sie, wie ich sie anschaue, und läuft weg – ich bin ihr nur nachgerannt, weil
sie
losgerannt ist. Sie rennt noch schneller, aber ich wollte ihr doch nur erklären, dass es nicht meine Schuld war, ich habe mich nur verteidigt. Dann, als ich sie erwischt habe …« Eine lange Pause, dann sagte er: »Vielleicht sollte ein Vater nicht mit seiner Tochter über solche Dinge reden.«
Ich wollte gar nichts von dem hören, was er mir erzählte, aber ich sagte: »Das ist schon okay, John. Es tut gut, darüber zu reden.« Ich schaffte es, ganz ungezwungen zu klingen. »Was ist dann passiert?«
»Ich wollte es nicht tun. Aber ich habe sie festgehalten, und sie hat weiter geschrien. Ich fühlte mich an dem Tag nicht
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