Never tell a lie - Lügen können töten - Psychothriller
war nicht besonders groß - nicht wie die Klinikkomplexe in der Innenstadt, die wie eigene kleine Städte waren.
Ivy sah auf die Liste der Abteilungen. Aufnahme und Verwaltung befanden sich im Erdgeschoss. Die Intensivstation war im zweiten Stock, Ostseite, die Entbindungsstation im 1. Stock, Westseite. Dort befand sie sich jetzt. Die Medizinisch/Chirurgische Abteilung war im 1. Stock, Ostseite - das konnte stimmen.
Ivy folgte dem Wegweiser zur Ostseite des 1. Stocks, der sie an den Aufzügen vorbeiführte. Sie ging einen Korridor entlang, durch eine Doppeltür und dann links durch eine zweite Doppeltür. Sie kam zu einer großen Schwesternstation, wo ein Arzt gerade telefonierte. Ivy eilte vorbei und versuchte so auszusehen, als hätte sie ein bestimmtes Ziel.
An den Türen der Krankenzimmer befanden sich Karten, auf denen mit dicken, schwarzen Buchstaben die
Namen der Patienten standen. Ivy hatte alle Karten auf einer Seite des langen Ganges gelesen und war auf der anderen Seite zur Hälfte zurückgegangen, bis sie endlich das Zimmer fand, das sie suchte.
Durch die offene Tür sah sie Mrs Bindel in dem Bett liegen, das am nächsten bei der Tür stand. Ivy betrat das Zimmer. Die Frau im Nachbarbett warf ihr einen kurzen Blick zu und drehte sich zum Fenster.
Mrs Bindel lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Ihr Kopf war mit einem dicken Verband umwickelt. Ihre Lippen waren trocken und aufgesprungen. Ivy zog einen Stuhl zum Bett, setzte sich und griff nach Mrs Bindels Hand. Eine Infusionsnadel war mit Klebeband an ihrem Arm befestigt, der Schlauch hing vom Bett herunter. Ihre Brust hob und senkte sich. Stabiler Zustand . Was verstand man hier darunter?
Als Ivy so an Mrs Bindels Bett saß, musste sie an ihren letzten Besuch bei Großmutter Fay denken. Das war ein paar Monate nach ihrer und Davids Hochzeit gewesen. Als sie an diesem Nachmittag ankam, hatte sie ihre Großmutter zusammengesunken in ihrem Sessel angetroffen. Die Zeitung hatte noch in ihrem Schoß gelegen. Ohne ihre Lebhaftigkeit, die ihre Persönlichkeit ausgemacht hatte, hatte der Tod sie so sehr schrumpfen lassen, dass sie wie ein Vögelchen nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schien.
Ivy war die offizielle Bevollmächtigte für die Gesundheitsfürsorge ihrer Großmutter gewesen. Aber wie üblich hatte Großmutter Fay selbst bestimmt, auf welche Weise und wann sie die Welt verlassen wollte. Eines Tages
war sie mit ihrem Gehwagen in den Supermarkt gegangen und hatte alle herumkommandiert. Dann eine kleine Magenverstimmung, ein leichter Schmerz in der Brust, und ein paar Stunden später war sie tot. Ein wunderbarer Tod für eine Frau, die immer gesagt hatte, dass sie »niemandem zur Last fallen« wolle.
»Wenn die Menschen doch nur einen Ausschaltknopf hätten«, hatte Großmutter Fay einmal zu Ivy gesagt. »Aber auf meinem sollte ›genug gelebt‹ stehen.«
Mrs Bindel bewegte die Hand, und Ivy wurde zurück in die Gegenwart katapultiert. Die Augenlider der alten Frau flatterten und öffneten sich, ihre Augen wanderten im Zimmer umher und blieben schließlich an Ivy hängen. Ihr Ausdruck des Erkennens verwandelte sich in Verwirrung, und sie griff nach ihrem verbundenen Kopf.
»Ja«, sagte Ivy. »Sie haben sich am Kopf verletzt. Können Sie sich daran erinnern?«
»Ich …« Mrs Bindels Augen leuchteten angstvoll auf. »Sie …?«
»Ja, ich habe Sie gefunden. Ich habe den Krankenwagen gerufen.«
»Phoebe?«
»Oh, es geht ihr gut«, sagte Ivy schuldbewusst. Sowie sie nach Hause kam, würde sie Phoebe zu sich ins Haus holen und das arme Tier füttern. Wenigstens hatte sie ihr Wasser hingestellt. »Mrs Bindel, können Sie sich erinnern, was passiert ist?«
»Garten«, hauchte Mrs Bindel. »Taglilien.«
»Ihre Taglilien waren dieses Jahr wunderschön«, sagte Ivy. »Haben Sie die Pflanzen im Garten geteilt?«
Mrs Bindel starrte sie an.
»Dort habe ich Sie nämlich gefunden. Sie lagen im Gras vor den Stufen zur Hintertür. Haben Sie jemanden da draußen gesehen? Hat jemand Sie verletzt?«
Mrs Bindel starrte über Ivys Schulter hinweg. Ihre Augen weiteten sich, und mit überraschender Kraft entzog sie Ivy ihre Hand.
»Hat …« Ivy wurde durch ein lautes Klopfen an der Tür unterbrochen.
Sie drehte sich um und sah sich Detective Blanchard gegenüber.
»Mrs Rose - was machen Sie hier?« Er trat ins Zimmer.
Ivy schluckte den dringenden Wunsch herunter, ihm zu antworten, dass ihn das nichts anginge. »Ich bin gestern Abend in die
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