Nevermore
gehört?
Ein kalter Stich durchfuhr sie voll Unbehagen und ihr wurde klar, dass sie hier allein war. Mit einem Geist.
Sie preschte nach vorne, schnappte sich das Buch und flitzte die Treppe hinunter, dankbar dafür, dass ihr die Tür diesmal nicht vor der Nase zufiel.
Sie schob das Poe-Buch in ihren Rucksack und eilte aus dem Laden. Das seltsame Gefühl blieb an ihr kleben, bis eine frische Brise vorbeirauschte und es wegblies.
Draußen verfärbte sich der Horizont zwischen den Gebäude in ein tiefes Pfirsichrot, während die Straßenlaternen und die Schaufenster mit jeder Sekunde heller zu leuchten schienen.
Isobel machte sich auf den Heimweg, doch als die Dämmerung weiter hereinbrach, wurde ihr klar, dass es mit schnellem Gehen nicht getan war.
Sie begann zu rennen.
Geflüster
Der Gehweg flog unter ihren stampfenden Füßen nur so dahin und die kühle Herbstluft stach in ihrer Lunge. Während sie rannte, spürte Isobel, wie ihr Körper diesen unangenehmen Zustand erreichte: Innen war ihr warm, außen aber durch den Schweiß eiskalt. Sie wusste, dass sie später dafür bezahlen würde, dass sie sich nicht aufgewärmt hatte, bevor sie zu diesem Dauerlauf angesetzt hatte.
Sie versuchte sich vorzustellen, wie Danny immer noch die Stellung hielt und tat, was immer er konnte, um ihre Eltern von ihrem ungewöhnlich ruhigen Zimmer abzulenken. Falls sie sich jetzt noch nicht wunderten, würde ihnen spätestens beim Abendessen auffallen, dass sie nicht da war.
Isobel blieb an einer Fußgängerampel stehen und drückte auf den Knopf. Als die Ampel auf Grün sprang, sah sie sich kurz nach dem Verkehr um und lief dann über die Straße zur Willow Avenue. Sie verlangsamte ihren Schritt und blieb schließlich stehen - ihr war ein Gedanke gekommen. Sie starrte die Straße hinunter: Direkt vor ihr lag einer der Seiteneingänge zum Park.
Sie zögerte und nahm sich einen Moment Zeit, um Luft zu holen und abzuwägen. Sie zog die Träger ihres Rucksacks fester -das Gewicht des Poe-Buchs drückte gegen ihre Wirbelsäule.
Obwohl der Park riesig war und sich darin ganze Waldstücke befanden, die von vielen kurvenreichen Wegen und steil ansteigenden Hügeln durchzogen waren, war es auf jeden Fall schneller quer hindurch-statt außen herumzulaufen. Und über das verschlossene Eingangstor in ihr Wohngebiet zu kommen, war so einfach, wie über ein niedriges Holztor zu klettern. Als sie klein gewesen waren, hatten sie und Danny das im Sommer fast jedes Wochenende getan.
Sie blickte zum Himmel. Zwischen vereinzelten Wolken funkelten drei frühe Abendsterne vor dem tiefer werdenden Blau, doch noch war es nicht vollkommen dunkel. Wenn sie den Weg durch den Park nahm, ohne Pause rannte und es schaffte, sich nicht zu verlaufen, würde sie bestimmt noch rechtzeitig vor der Dunkelheit ankommen. Sie war sich sicher.
Der Entschluss war gefasst und Isobel stürzte los in Richtung Park.
Auf beiden Seiten der Straße standen hohe, arrogant wirkende, fenstergesichtige viktorianische Wohnhäuser. Sie schienen Isobel zu beobachten, als sie an ihnen vorbei in die geteerte Einbahnstraße einbog, die sich in den Park hineinschlängelte. Bald schon blieben die Häuser und Straßenlaternen hinter ihr zurück. Der Weg verschmälerte sich und wurde zu einer einfachen, kurvenreichen Asphaltspur. Baumreihen und dichtes Unterholz erschienen auf beiden Seiten. Je weiter sie in den Park hineinlief, umso dichter wurde der Wald um sie herum.
Das ineinander verflochtene Flickwerk aus Zweigen über ihr verwandelte den Pfad in einen immer dunkler werdenden Tunnel. Über dem verzweigten Geäst zogen dicke Wolken gemächlich vorüber.
Isobel lief weiter und lauschte dem sanften Takt ihrer Turnschuhe auf dem Teer. Sie konnte es kaum erwarten, nach Hause Zu kommen und sich unter die warme Dusche zu stellen. Vielleicht würde sie sich einen Pfefferminztee machen und früh zu Bett zu gehen, auch wenn der Grund dafür definitiv nicht ihr Vorfreude auf morgen war.
Ringsherum schlich sich die Dunkelheit heran, fuhr mit ihren Fingern durch die Bäume und verwischte sie zu einem einzigen schwarzen Klecks.
Als sie an eine Weggabelung kam, bremste Isobel kurz ab und entschied, dass sie geradeaus weiterlaufen würde. Sie hatte vergessen, dass die Stadtverwaltung die Parkwege nachts nicht beleuchtete, und hoffte nun auf die Scheinwerfer der Autos, die am Park vorbeifuhren.
Sie rannte weiter. Das lauteste Geräusch, das sie vernahm, war ihr eigener Atem. Das
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