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Nevermore

Nevermore

Titel: Nevermore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Creagh
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Laut, klar, tief, sonor und überaus harmonisch, doch von so sonderlichem Tongedröhn, daß stets bei jedem Stundenschlag die Musikanten des Orchesters für einen Augenblick doch zu verhalten gezwungen warn in ihrer Darbietung, um dem Geräusch zu lauschen; und gleicher Weise zwang’s die Walzertänzer auch, von ihren Drehungen zu lassen; und kurze Verlegenheit befiel die ganze ausgelassene Gesellschaft; und indessen die Uhrenschläge noch erschallten, ward bemerkt, daß auch der Flatterhafteste erbleichte und die Betagtem und Gefaßtem sich mit feuchten Händen nach den Stirnen griffen, wie in verworrner Träumerei und Sinnesschwere. Doch war der letzte Echohall verschollen, so durchlief ein Leichtsinnslachen die Versammlung; die Musikanten blickten einander an und lächelten, ganz wie ob ihrer eignen Nervenschwäche und Narrheit, und flüsternd taten sie einander das Gelöbnis, es sollte das nächste Uhrenschlagen in ihnen kein ähnliches Empfinden mehr erzeugen; und waren dann wieder sechzig Minuten verstrichen (das aber sind drei Tausend und sechs Hundert Sekunden der Zeit, die flüchtig dahin verrinnt), so folgte doch erneut ein Glockengeläut, und dann griff ganz die nämliche Verwirrung und Zitterbangigkeit und Sinnesschwere als vorher um sich.
     
    Isobel blätterte weiter, bis es in der Geschichte Mitternacht war Sie hatte genügend Horrorfilme gesehen, um zu wissen, dass um diese Uhrzeit die größte Dramatik zu erwarten war. Und Poe enttäuschte sie nicht. Als die schwarze Uhr zwölf schlug, setzte das wirklich abgefahrene Geschehen ein. Alle fingen an, wegen irgendeines gruseligen Fremden auszuflippen, der aus dem Nichts aufgetaucht war.
     
    Die Gestalt war hoch und hager und war von Kopf bis Fuß in die Laken des Grabs gehüllt. Die Maske, welche das Gesicht verbarg, war in allen Zügen so ähnlich einem starren Leichenantlitz nachgebildet, daß auch die gründlichste Prüfung hätte Schwierigkeit haben müssen, den Betrug zu entdecken. Und doch hätte all dies bei den tollen Schwelgern in der Runde wohl noch Duldung gefunden, wenn nicht gar Beifall. Doch der Vermummte war so weit gegangen, die Urgestalt des Roten Todes anzunehmen. Seine Gewandung war von Blut bespritzt - und seine breite Stirn, mit allen Zügen des Gesichts, sprenkelte der scharlachene Schrecken.
     
    Widerlich, dachte sie, aber auch irgendwie cool. Isobel blätterte um und überflog das Ende, als Fürst Prospero, sauer bis aufs Blut, durch alle Zimmer wütet.
     
    Hochauf erhoben trug er einen gezogenen Dolch, und schon war er, in wildem Ungestüm, auf drei, vier Schritt dem Weichenden nahe gekommen - da wendete sich die Gestalt, nachdem sie jetzt das äußerste Gemach gewonnen, das von schwarzem Samt, jährlich herum, um dem Verfolger standzuhalten. Ein greller Schrei erscholl - und der Dolch fiel funkelnd auf den düsterschwarzen Teppich nieder, auf den im Augenblick danach im Tode der Fürst Prospero hinstürzte. Da warf sich, mit dem tollen Mute der Verzweiflung, ein Hauf der Festesgäste mit einem Male in das schwarze Gemach, und indem sie den Vermummten packten, dessen hohe Gestalt aufrecht und reglos stand im Schatten der Uhr von Ebenholz, befiel ein unaussprechlich’ Grauen sie, da sie die Grabeslaken und die leichengleiche Maske, die sie so rüde ungestüm anfaßten, unbewohnt fanden von jeglicher greifbarn Gestalt.
    Nun ward die Gegenwart des Roten Tods erkannt. Wie in der Nacht ein Dieb war er gekommen. Und einer nach dem ändern sanken die Gäste nieder, hin in den blutbetauten Hallen ihres Schwelggelags, und starb ein jeglicher in seines Falls Verzweiflungshaltung. Und in der ebenholznen Uhr verlosch das Leben mit dem des letzten dieser Fröhlichen. Und die Flammen der Dreifüße verglommen. Und Finsternis und Verfall kam, und der Rote Tod hielt grenzenlose Herrschaft über allem.
     
    Moment - wie bitte? Das war alles?
    Isobel las den letzten Satz noch einmal, obwohl sie sich sicher war, dass sie nichts ausgelassen hatte. Oder vielleicht doch? Der Klumpen, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, machte ihr das Schlucken schwer.
    »Okay.« Sie schlug das Buch zu und brachte damit den Tisch zum Wackeln, was Varen beim Schreiben störte. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er auf. »Können wir dann jetzt darüber reden, dass ich gerade diese Masken-Sache gelesen habe und am Ende echt der Böse gewinnt?«
    Er hob den Stift vom Papier, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah sie mit so etwas wie Belustigung an. »Ich

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