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Nevermore

Nevermore

Titel: Nevermore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Creagh
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furchterregend wirkte, wenn er herumbrüllte. Oder - und das war wahrscheinlich eher der Grund - weil sie sich so gut wie nie stritten, geschweige denn anschrien.
    »Izzy?«
    »Mmmh?«, murmelte Isobel in Gedanken.
    »Willst du darüber reden, was zwischen dir und Brad vorgefallen ist?«
    Isobel verzog das Gesicht. Sie drehte sich um und versuchte, die Bettdecke glatt zu ziehen, die sich wie ein Kokon um sie herumgewickelt hatte, »Nein«, sagte sie. »Es gibt nichts, worüber man sprechen könnte. Wir haben Schluss gemacht, das ist alles.«
    »Okay«, sagte ihre Mutter und tätschelte Isobels Seite. Es fühlte sich an, als würde sie ein kleines Feuer ausklopfen. »Ich frage ja nur. Ich gehe jetzt und lese ein bisschen, wenn das in Ordnung ist.«
    Isobel nickte in ihr Kissen hinein. Sie wollte allein sein, um nachzudenken.
    »Im Kühlschrank ist noch etwas Hähnchensalat, falls du doch noch Hunger bekommst«, sagte ihre Mom, beugte sich zu ihrer Tochter hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Wie von Zauberhand schienen Isobels Kopfschmerzen etwas abzuflauen.
    Nachdem ihre Mutter gegangen war, lag Isobel da und starrte auf den Buchrücken, auf dem glänzend Die Gesammelten Werke von Edgar Allan Poe stand. Sie wusste, dass sie sich eigentlich aufsetzen, das Buch aufschlagen und weiterlesen sollte, doch sie wusste auch, dass sie sich nach allem, was passiert war, nicht auf ein einziges Wort würde konzentrieren können. Und Poe zu lesen, fühlte sich schon unter normalen Umständen an wie das Entschlüsseln einer uralten Sprache. Außerdem gruselte sie sich noch immer vor dem Buch. Isobel nahm es in die Hand und hielt es über die Bettkante. Mit einem schweren Schlag fiel es zu Boden.
    Sie streckte einen Arm über den Kopf und stellte ihren Wecker, dann rollte sie sich wieder zusammen und schloss die Augen - ließ aber das Licht im Zimmer an.
     
    Die Bäume ragten hoch und dünn um Isobel herum auf, sie standen nebeneinander wie zahllose Gefängnisgitterstäbe - alle schwarz, alle tot. Die kreisrunde Lichtung, auf der sie stand, war übersät von vertrockneten Blättern. Der Wald war reglos und still, fast stumm. Hinter den Bäumen leuchtete es dunkelviolett, wie ein glühender Horizont, und alles war in ein unheimliches Licht getaucht.
    Isobel blickte nach oben. Über dem spinnennetzartigen Geflecht aus ineinander verschlungenen schwarzen Ästen thronte trüb ein stürmischer, violettfarbener Himmel. Um sie herum sanfter Schneefall.
    Nein, dachte Isobel und hielt die Hand auf, um eine Flocke aufzufangen - das war kein Schnee. Sie zerrieb die Flocke zwischen den Fingern und spürte trockene Körnchen: Asche.
    Wie eine dünne Staubdecke lag sie über dem Wald. Sie haftete an den Flanken der Bäume und sammelte sich in den kegelförmigen Körpern der runzeligen gräulich violetten Blätter.
    »Wo …?«, wunderte sie sich - sie sprach es laut aus, um die Stille zu durchbrechen.
    »Diese Wälder hier nennt man die Wälder von Weir«, ertönte eine Stimme hinter ihr.
    Isobel wirbelte herum und sah Reynolds am äußersten Rand der Lichtung stehen. Er war wieder in einen langen schwarzen Umhang gewickelt, der weiße Schal verhüllte die untere Hälfte seines Gesichts und der Filzhut warf einen Schatten über seine Augen.
    »Es ist ein Ort zwischen den Welten. Ein Ort, den man selten bewusst erreicht. Ein Ort, der irgendwo zwischen dem Reich der Träume und der Realität liegt.«
    Erschrocken machte Isobel einen Schritt zurück, hielt den Blick aber weiter auf ihn gerichtet. Inmitten all der Phantombäume wirkte er noch bedrohlicher als in ihrem Zimmer. Er wirkte sogar noch größer, wenn das überhaupt möglich war.
    »Dann … träume ich gerade wieder?«
    »Ja«, antwortete er, »und nein.«
    »Oookay.« Isobel lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie mochte diesen Ort nicht. Aber noch weniger gefiel es ihr, dass sie nicht wusste, ob dieser Ort überhaupt real war. In einem Traum zu sein, bedeutete, sich innerhalb seiner eigenen Vorstellungskraft zu befinden, richtig? Aber warum fühlte es sich dann so echt an?
    Da ihr nichts Besseres einfiel, ging sie weiter rückwärts. Ihre Füße knirschten auf dem trockenen Boden. »Kann ich von dir auch mal eine Antwort bekommen, die nicht klingt, als ob sie von einem Magic-8-Ball käme?«
    Reynolds bewegte sich ein wenig, als störte es ihn, dass sie eine gewisse Distanz zwischen sie beide bringen wollte. Seine Augen blieben, ohne das geringste Blinzeln, auf sie

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