Nevermore
war überrascht, als Varen vor einem Schaufenster parkte, in dem ein Neonschild mit der Aufschrift Double Trouble II stand.
»Warte hier«, sagte Varen, schnallte sich ab und stieg aus dem Auto.
Isobel setzte sich auf und sah, wie er das Restaurant betrat. Durch das sonnendurchflutete Schaufenster konnte sie teilweise erkennen, wie er zur Theke ging und seinen Geldbeutel herauszog. Er muss angerufen und bestellt haben, ging es ihr durch den Kopf, als der Mann hinter der Theke lächelte und ihm eine Plastiktüte überreichte. Sie war überrascht. Irgendwie war sie davon ausgegangen, dass Varen gar kein Handy besaß.
Einen Augenblick später trat er mit der Tüte in der Hand aus dem Laden. Er öffnete die Autotür und reichte sie Isobel. Sie nahm sie entgegen und der himmlische Duft von Frühlingsrollen, gebratenem Hühnchen mit Gemüse und Rindfleisch mit Brokkoli breitete sich im Auto aus.
Mit einem Mal bekam Isobel Hunger. Ihr Magen knurrte wie ein ausgehungerter Hund und das Geräusch war so laut, dass sie sich keine Hoffnung machte, dass Varen es vielleicht nicht gehört hatte.
»Ich hoffe, du magst chinesisch«, sagte er und legte den Gang ein.
Sie fuhren von einer schmalen Straße ab und an einem Schild vorbei, auf dem St. Francis Court stand. Das Schnurren des Cou-gar hallte nun durch eine riesige Allee, die von einem breiten, begrünten Mittelstreifen geteilt wurde. Hinter einem breiten Gehweg standen zu beiden Seiten hoch aufragende, viktorianische Wohnhäuser, die einander zugewandt waren wie Tanzpartner, die sich für einen Walzer bereit machen.
»Hier wohnst du also? Echt?«
Eine heftige Windböe rauschte vorbei und warf die dichten Kronen der riesigen, altehrwürdigen Bäume kreuz und quer durch die Luft. Die Sonne lugte hinter den Wolken hervor und erleuchtete einen Platz, auf dem ein riesiger Springbrunnen stand (viiiel größer als der in Isobels Wohnviertel!).
Isobel kurbelte ihr Fenster herunter. Frische, kühle Herbstluft strömte herein und schlug ihr ins Gesicht. Sie lehnte sich hinaus, um den Springbrunnen besser sehen zu können. Von allen Seiten floss Wasser in ein großes grünes Becken und schuf einen Vorhang um einen erhöhten Sockel, der von grazilen Schwänen und Engelsputten mit feierlichem Gesichtsausdruck umgeben war. Das sanfte Rauschen des Wassers war das einzige Geräusch, das zu hören war, abgesehen vom Brummen des Cougar.
Ganz oben auf dem Springbrunnen befand sich die Statue einer kurvenreichen nackten Frau, die auf sie herunterblickte, als sie vorbeifuhren. In der Hand hielt sie eine Stoffbahn, die sich eng um ihre untere Körperhälfte schlang und sich hinter ihr zu einem hohen Bogen bauschte.
Das Auto umrundete den Springbrunnen und fuhr die andere Seite der Allee hinunter.
Isobel drehte den Kopf und beugte sich nach vorne, um durch das Fahrerfenster sehen zu können. Ein schmiedeeiserner Löwe blickte sie grimmig von einem steinernen Podest herab an. Feierlich aussehende Gaslaternen säumten die Straße zu beiden Seiten, in ihren Glaszylindern flackerte richtiges Feuer.
Eine weitere, sanftere Windböe fuhr durch die Allee und wirbelte Tausende kleine gelbe Blätter auf. Sie taumelten durch die Luft und reflektierten mit ihren Bäuchen das Licht, das sie aufleuchten ließ wie Blattgold.
Sie befanden sich in einem der ältesten Teile der Stadt. Isobel wusste zwar, dass dieses Viertel existierte, war bisher aber noch nie hier gewesen.
»Die Gegend ist ja wunderschön«, flüsterte sie und konnte sich nicht entscheiden, welches Autofenster den besseren Ausblick bot.
Die Häuser waren unglaublich, jedes war praktisch ein kleines Schloss. Ihre Fassaden zierte dekoratives Mauerwerk und Fliesen, ihre Vorderfronten schmückten kleine Vordächer, Säulengänge und von gemeißelten Steinsäulen umrahmte Veranden. Einige Wohnhäuser hatten Balkone, während andere über runde Türmchen mit spitz zulaufenden Dächern verfügten.
Als sie an einer regelrechten Burg von einem in Grautönen gehaltenen Haus vorbeikamen, glaubte Isobel, kleine, in die Fassade eingravierte Gesichter ausmachen zu können, deren Münder o-förmig offen standen und deren Augenbrauen Furcht einflößend und grimmig nach unten zeigten.
»Was ist das denn?«
»Die Gesichter? Die nennt man grüne Männer«, erklärte Varen und bremste das Auto auf Schrittgeschwindigkeit ab, damit sie besser sehen konnten. »Sie sind so eine Art Kobold oder Wasserspeier. Beschützer. Sie halten angeblich das Böse
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