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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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der Falle – und das alles wegen meines geliebten Blutsbruders Sam.
    Im Grunde war es gar nicht so schwierig, meine verwandtschaftlichen Beziehungen zu schildern. Es war nur unangenehm.
    Mein Großvater Hieronymus Behn, ein Holländer, der nach Südafrika ausgewandert war, heiratete zweimal: zuerst Hermione, eine wohlhabende Afrikanderwitwe, die bereits einen kleinen Sohn hatte, meinen Onkel Lafcadio, den Großvater Hieronymus adoptierte. Aus der Ehe zwischen Hieronymus und Hermione gingen zwei Kinder hervor: mein Onkel Earnest, der in Südafrika geboren wurde, und meine Tante Zoe, die in Wien zur Welt kam, wohin die Familie nach der Jahrhundertwende umgezogen war. Diese beiden Kinder waren also die Halbgeschwister meines Onkels Laf, da er und sie dieselbe Mutter hatten.
    Als Hermione in Wien krank wurde, soll sie meinen Großvater gebeten haben, eine junge hübsche Studentin vom Wiener Konservatorium einzustellen als eine Art Kindermädchen für die noch kleinen Kinder und besonders für deren musikalische Erziehung. Nach Hermiones Tod wurde diese junge Frau namens Pandora die zweite Frau meines Großvaters und Mutter meines Vaters Augustus. Sie verließ Mann und Kind und brannte nach der Geburt von Augustus mit meinem Onkel Laf durch.
    Um die Sache noch komplizierter zu machen, beschloß meine Tante Zoe – die praktisch von Pandora großgezogen wurde und ihre kranke Mutter kaum, ihren vielbeschäftigten Vater noch weniger gekannt hatte –, mit Laf und Pandora davonzulaufen, und schuf so mit einem einzigen Schlag das, was später das «Familienschisma» genannt wurde. Zoes späteres Leben als erfolgreichste Halbweltdame im Kielwasser von Großen und Prominenten seit Lola Montez würde einen Roman füllen.
    Buchstäblich für mein Leben gern hätte ich gewußt, was Onkel Laf, eine Schlüsselfigur in dem Familiendrama, über diese Manuskripte wußte, die ich geerbt hatte, ob er wußte, wem sie tatsächlich gehört hatten – Pandora oder Zoe? – und welche Rolle sie im Gesamtbild spielten. Das hoffte ich am kommenden Wochenende zu erfahren, wenn ich dann noch lebte.
    Mir war klar, daß auch Sam wesentlich mehr wußte, als er gesagt hatte oder sagen konnte. Aber warum jahrzehntealte Briefe und Tagebücher noch so brisant waren, oder warum mein Vater gesagt hatte, sie seien alle in Geheimschrift verfaßt, was außer ihm niemand erwähnt hatte, oder warum Sam mit Hilfe der US-Regierung seinen eigenen Tod inszeniert und mich zum Opfer einer Pressekonferenz gemacht hatte, bei der über Erbschaftsangelegenheiten geredet wurde – all das würde sich noch herausstellen. Nur der letzte Punkt machte mich immer noch sprachlos vor ohnmächtigem Zorn. Doch zunächst, nachdem ich Sam nicht vor morgen nachmittag in der No-Name-Bar zur Rede stellen konnte, mußte ich auf Nummer Sicher gehen und vor allem am Leben bleiben.
    Mein erster Schritt war, das Telefongespräch mit Helena, Starreporterin der Post, die mir mehr erzählt hatte als ich ihr, zu beenden. Ich sagte ihr, ich würde sie informieren, sobald ich die Manuskripte hätte. Als nächstes mußte ich mich entscheiden, ob ich das Paket noch eine Weile der Anonymität des Postamts überließ, so daß ich nur diesen kleinen Abholzettel zu verstecken brauchte, oder ob ich es abholen sollte und mir etwas dazu einfallen ließ, bis ich es Sam übergeben konnte. Er verdiente es, daß ich ihm diese heiße Kartoffel auf schnellstem Wege zurückgab. Was immer diese Manuskripte enthielten – ich war mir inzwischen sicher, daß ich es nicht wissen wollte –, sie wären wahrscheinlich besser irgendwo vergraben geblieben. Ich war eine Närrin, zu glauben, ich könnte meiner Familie entkommen, indem ich mich hier in Idaho vergrub.
    Bevor ich schlafen ging, nahm ich meinen gewebten, mit Federn besetzten «Traumfänger» ab, der über meinem Bett hing, um böse Träume abzuhalten, und steckte ihn in eine Schublade. Ich dachte, wenn ich es mir vor dem Einschlafen fest vornahm, würde ich vielleicht etwas träumen, das mir den Weg durch das schauerliche Labyrinth weisen würde, zu dem sich mein Leben entwickelte. Ich erwachte vor Morgengrauen in Schweiß gebadet.
    Ich hatte geträumt, ich würde laufen – nicht aufrecht, sondern auf allen vieren –, durch ein schilfähnliches Dickicht, das so dicht war, daß ich kaum etwas sehen konnte. Hinter mir spürte ich den heißen Atem eines großen dunklen Tiers, das geifernd und mit knirschenden Zähnen nach mir schnappte. Ich hatte wahnsinnige

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