Neville, Katherine - Der magische Zirkel
hervorholte, den Jason gerettet hatte. Ja! Das wars. Postleitzahl San Francisco. Neben dem angekreuzten Kästchen stand: Paket für Briefkasten zu groß.
Ich zog den Mantel aus. Dann stopfte ich den Zettel in die hintere Hosentasche und machte mich daran, den Kamin zu heizen, an dem ich gewöhnlich mein Abendessen kochte.
«Ihr verstorbener Cousin muß ein sehr tapferer Mann gewesen sein», lautete Miss LeBlancs Einleitung zu unserem Gespräch.
«Ich bin eigentlich nicht in der Stimmung, jetzt über meinen verstorbenen Cousin zu sprechen», erklärte ich ihr, während ich Kleinholz auf die kalte Asche des gestrigen Feuers legte. «Woher kommt dieses plötzliche Interesse an mir und meiner Familie? Ich fürchte, ich verstehe das nicht ganz.»
«Miss Behn – oder darf ich Sie Ariel nennen? Sie müssen doch wissen, daß Ihre Familie seit drei Generationen Menschen hervorgebracht hat, die berühmt wurden aufgrund ihrer Talente und ihres Einflusses auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Und trotzdem hat noch niemand eine Tiefenstudie von dieser Familie gemacht, deren Beiträge – »
«Die Washington Post will eine Tiefenstudie von meiner Familie machen?» warf ich ein. Das konnte nur ein Witz sein. «Sie meinen, als Serie in der Sonntagsbeilage?»
«Ha, ha», lachte sie hell, dann erinnerte sie sich offensichtlich an meine «Trauerzeit» und beruhigte sich. «Nein, natürlich nicht. Miss Behn – soll ich direkt zur Sache kommen?»
Ich wünschte bei Gott, sie würde es tun. Wir wußten beide, worauf sie aus war, aber ich sagte schlicht: «Ja.»
«Was uns interessiert, sind die Manuskripte. Die Zeitung hätte gern die Exklusivrechte zur Veröffentlichung. Wir sind selbstverständlich bereit, eine große Summe zu zahlen. Aber wir wollen uns auf keinen Preissteigerungskampf einlassen.»
Preissteigerungskampf?
«Von welchen Manuskripten sprechen Sie?» fragte ich naiv. Sie sollte ruhig etwas für ihr Geld tun.
Ich schloß die Augen, während ich den gelben Zettel in meiner Hosentasche mit den Fingerspitzen berührte. Dann hielt ich das Streichholz an das Papier im Kamin.
«Natürlich von den Briefen und Tagebüchern von Zoe Behn», sagte sie. «Ich dachte, Ihre Familie hätte mit Ihnen gesprochen.»
«Zoe Behn?!» sagte ich und erstickte beinahe an dem Namen. Das war schlimmer als meine düstersten Phantasien. «Was hat Zoe Behn damit zu tun?» fragte ich schließlich.
«Es scheint unmöglich, daß Sie nicht genau wissen, was Sie geerbt haben, Miss Behn.» Helena Voorheer-LeBlancs Stimme klang vor Erstaunen geradezu sanft.
«Warum klären Sie mich nicht auf?» schlug ich vor. Es war viel geschrieben worden über meine schreckliche
Tante Zoe, die Halbschwester meines Vaters, die als das schwarze Schaf der Familie galt. Das meiste hatte sie selbst geschrieben. Aber heute hörte ich zum ersten Mal von «Briefen und Tagebüchern». Doch was könnte Zoe darin noch zu sagen haben? Schlimmer als das, was sie bereits weltweit ausposaunt hatte, konnte es nicht sein.
«Ich war auf der Pressekonferenz in San Francisco, Miss Behn.» Helena holte hörbar Luft. «Uns wurde gesagt, daß Ihnen als der alleinigen Erbin Ihres verstorbenen Cousins Samuel Behn auch der Nachlaß zufällt, den er geerbt hat – einschließlich des Erbes Ihrer Großmutter, der berühmten Opernsängerin Pandora Behn, und Ihres Onkels, des Bergwerksmagnaten Earnest Behn. Ihr Vater und Mr. Abraham, der Testamentsvollstrecker, sagten auf der Pressekonferenz, ihrer Meinung nach enthalte dieser Nachlaß nicht nur Pandora Behns Korrespondenz mit bekannten Persönlichkeiten und private Aufzeichnungen, sondern auch die ihrer Stieftochter Zoe, der bekannten…» Kurtisane war das Wort, das mir auf der Zunge lag, aber sie sagte: «…Tänzerin.»
Wie gesagt, meine Familienverhältnisse sind ziemlich kompliziert.
«Sagen Sie, Helena», entgegnete ich, «nachdem Sie auf dieser Pressekonferenz, die ich leider verpaßt habe, so viel erfahren haben, muß doch auch jemand gewußt haben, wo diese bedeutenden Manuskripte sind?» Bei der Testamentsverlesung wurden sie ganz sicher nicht erwähnt.
«Ja, sicher, Miss Behn», sagte sie. «Deshalb habe ich auch so bald bei Ihnen angerufen, denn die Zeit spielt hier eine wichtige Rolle. Nach Aussage des Testamentsvollstreckers soll im Fall des Ablebens Ihres Cousins sein gesamter Besitz spätestens eine Woche nach der Testamentseröffnung in Ihren Händen sein.»
Verdammt! Mein Leben war in Gefahr. Ich saß in
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