Neville, Katherine - Der magische Zirkel
für sie aussuchen würden. Sie waren gekommen, um sich ihre Beute selbst zu holen.
Die Mädchen auf dem Schiffsdeck drängten sich wie verängstigte Tiere aneinander und blickten hinunter auf ein Meer grölender Männer, die auf die Gangway zustürmten. Die paar Geistlichen an Bord verlangten, die Seeleute sollten die Brücke wieder einholen, aber ihre Rufe gingen im Geschrei der Menge unter. Hermione schloß die Augen und betete.
Und dann brach die Hölle los. Die betrunkenen, ausgelassenen Buren schwärmten auf das Schiff. Die Mädchen schrien, als sie gepackt und wie Mehlsäcke davongeschleppt wurden. Hermione preßte sich verzweifelt an die Reling und dachte, daß es vielleicht besser wäre, sich ins Meer zu stürzen, statt einem dieser Kerle in die Hände zu fallen.
Aber im selben Augenblick umschlangen sie zwei Arme, daß sie selbst keinen Arm mehr bewegen konnte, und hoben sie hoch. Sie versuchte zu treten und zu beißen, aber der Mann hielt sie nur noch fester, während er sie durch die Menge schob und ihr Flüche ins Ohr schrie. Ihr wurde schwindlig und sie fürchtete, ohnmächtig zu werden, als sie über die Gangway und hinunter zu den schlammigen Straßen des Hafens getragen wurde. Als sie bereits halb bewußtlos war, stieß etwas gegen ihren Entführer, und sie wurde zu Boden geworfen. Als sie wieder auf die Beine kam, hatte sie nur eines im Sinn: schnell weg! Aber dann nahm jemand ihre Hand. Es war eine starke, kühle Hand, die fest und sicher Zugriff, aber nicht so wie die groben Hände des Mannes, der sie vom Schiff geschleppt hatte. Statt sich loszureißen und wegzulaufen, blieb sie stehen und sah den Mann an, der ihre Hand hielt.
Seine Augen waren hellblau, genau wie die ihren, und es bildeten sich Fältchen an seinen Augenwinkeln, als er auf sie herunterlächelte. Es war ein Lächeln, wie sie es noch nie gesehen hatte. Er lächelte, als gehörte sie zu ihm, und er strich ihr so zärtlich eine Locke aus dem Gesicht, als würden sie sich seit Jahren kennen.
«Komm mit mir», sagte er.
Das war alles, aber es genügte, daß sie, ohne eine einzige Frage zu stellen, mit ihm ging. Der Fremde hob sie auf sein Pferd, saß hinter ihr auf und legte den Arm um sie, um sie festzuhalten.
«Ich bin Christian Alexander – Lord Stirling», sagte er. «Und ich habe sehr, sehr lange auf dich gewartet.»
Meine Mutter hatte das Glück, eine sehr schöne Frau zu sein, und ihr silberblondes Haar verschaffte ihr von vornherein einen gesellschaftlichen Vorteil an den Küsten Südafrikas. Mein Vater war jedoch keineswegs der stolze Lord, der er zu sein vorgab, obwohl das damals nur wenige wußten – auch meine Mutter nicht.
Christian Alexander war der fünfte Sohn eines unbedeutenden Landedelmanns aus Hertfordshire und hatte als solcher keinerlei Aussicht, Geld oder Besitz zu erben. Aber er war als junger Mann mit einem Jugendfreund, dem Sohn eines Pfarrers, nach Oxford gegangen; und als sein Freund aus gesundheitlichen Gründen jeden Sommer nach Afrika reiste, nahm mein Vater die Gelegenheit wahr, ihn zu begleiten. Er wurde schließlich der vertrauenswürdigste Geschäftspartner dieses langjährigen Freundes. Und der Name dieses Freundes war Cecil John Rhodes.
Schon während ihrer ersten Reise – im späten Frühling 1879, als beide erst siebzehn Jahre alt waren – wurden auf den DeBeers-Farmen Diamanten entdeckt, und damals hatte Cecil Rhodes eine Vision.
Genauso wie Paulus Kruger nach Art der Buren an die göttliche Vorsehung glaubte, glaubte nun Cecil Rhodes an eine britische Zukunft in Afrika. Rhodes wollte die Diamantenfelder unter dem Dach einer Gesellschaft vereinen – einer britischen Gesellschaft. Er wollte eine britische Eisenbahn von Kapstadt nach Kairo bauen, um die britischen Kolonien in Afrika zu verbinden. Als später die riesigen Goldreserven in Südafrika entdeckt wurden, beanspruchte er auch sie für das britische Empire. In der Zwischenzeit wurde Rhodes ein mächtiger Mann, und mein Vater wurde – dank der Freundschaft mit Rhodes – reich.
1884, als die sechzehnjährige Hermione aus Holland nach Südafrika kam, war mein Vater zweiunddreißig Jahre alt und schon seit gut zehn Jahren Diamantenmillionär. Als ich im Dezember 1900 geboren wurde, war meine Mutter ebenfalls zweiunddreißig. Und mein Vater war im Burenkrieg gefallen.
Jeder hatte geglaubt, der Krieg sei vorbei, als die Belagerungen von Mafeking, Ladysmith und Kimberley aufgehoben wurden. Knapp zwei Monate vor meiner Geburt
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