New York für Anfaengerinnen
York Besuch regelmäßig die Ohren vollschwärmte. Kaum hatte Zoe den Broadway verlassen, schien ein ungeschriebenes Gesetz vorzuschreiben, dass hier an der Grenze von SoHo und Little Italy keiner über fünfunddreißig sein durfte und jeder Fahrrad fahren musste. Auch eine Hutpflicht schien es zu geben. Man trug Fedoras, Beanies oder irgendwelche kunstvoll drapierten Schals um die Köpfe. Zoe knipste und knipste. Bei Pinkyotto standen keine generischen Schaufensterpuppen mehr in der Auslage, wie noch bei den Kettenläden am Broadway, sondern richtige Passformoberkörper aus Stoff wie beim Schneider, aber mit Teddybärenköpfen oben drauf. Auf dem Auslagentisch vor McNally’s Bookstore, einem der wenigen noch unabhängigen Buchhändler der Stadt, lag ein Stapel Büchlein mit einer von einem Modedesigner skizzierten Frau auf dem Cover: The Manhattan of Fashion Insiders. A Private & Friendly Guide . Ein Schauspielerin, die Zoe aus irgendeiner romantischen Komödie kannte – Emily Blunt? Claire Danes? – blätterte vertieft darin. Zoe erinnerte sich, dass die Fibel der Talk der letzten Berliner Fashion Week gewesen war. Sie stellte sich hinter dem Inkognito-Hollywoodstar in die Schlange, machte aus dem Handgelenk ein heimliches Foto und kaufte ein Exemplar.
Anschließend betrat sie das Cafe Gitane und wurde an den hintersten Tisch unter die Elgin-Bahnhofsuhr gesetzt, deren roter Sekundenzeiger unbeirrt weiterpreschte wie das Leben. Sie bestellte bei einer stupsnäsigen Bedienung mit Audrey-Tatou-Kurzhaarschnitt einen eisgekühlten Hibiskustee sowie ein Yellowfin Tuna Ceviche und ließ sich in den Stuhl zurücksinken. Auf den restlichen Broadway hatte Zoe Schuhmacher keine Lust mehr. Hier und jetzt fühlte sie sich in New York angekommen.
Sie scrollte sich durch ihre Blogeinträge. Dann tippte sie einfach drauflos:
Nach New York kommt, wer sich verändern will. Alle New Yorker kommen von irgendwo her. Kaum einer kommt von hier. Wahrscheinlich ist es so einfach, sich hier zu Hause zu fühlen, weil niemand hier zu Hause ist. Weil die Stadt Platz zu haben scheint für alle und alles. Für arm und reich, für hip und für hoffnungslos. New York ist ein Ort in Form eines Versprechen: Du bist hier willkommen, egal wer du bist und wo du herkommst – as long as you get the fuck to work and try to be the best you can be. New York lebt nicht vom Mythos seiner Vergangenheit wie andere Metropolen. New York ist ein Versprechen für die Zukunft.
Sie klickte auf post und stellte den Beitrag online. Fast zeitgleich kamen die ersten Kommentare.
Wunderschön gesagt , schrieb eine Stylebitch2000.
Viel Glück dir auch! xoxo! , schrieb eine Miriam P.
There is really one city for everyone, just as there is one major love , schrieb eine Al.
Zoe wollte es zuerst gar nicht glauben. Typisch Allegra. Verfolgte natürlich den ersten Tag ihrer besten Freundin in New York auf dem Liveblog. Sie antwortete ihr:
Und ich, liebe Al, bin in diesem Moment ganz fest davon überzeugt, dass New York meine Stadt ist.
Das Chrysler Building, der dritthöchste Wolkenkratzer der Stadt, stand an der edlen Lexington Avenue, nicht weit vom Grand Central Bahnhof entfernt. Zoe legte den Kopf in den Nacken so weit es ging und blickte bis zur Spitze hinauf. Wasserspeier aus rostfreiem Stahl, die der Form von Radkappen, Kotflügeln und Kühlerfiguren nachempfunden waren, schmückten die Fassade. Auch die in der Sonne silbern glitzernde, schuppenartige Kuppel des Gebäudes war aus nicht rostendem Stahl gefertigt. Nachts musste sie glänzen wie eine Weihnachtsbaumspitze. Das Chrysler Building war für Zoe Schuhmacher eindeutig der schönste Wolkenkratzer der ganzen Stadt.
Tagelang hatte sie sich in Gedanken ihr Erster-Tag-im-neuen-Büro-Outfit zusammengestellt: den in Berlin gerade schwer angesagten Boyfriend-Look aus schlabberigen Rag&Bone-Jeans, engem T-Shirt unter Männer-Blazer sowie zitronengelben Sigerson & Morrison-Pumps. Die meisten Männer würden sich vermutlich keine Pikosekunde darüber Gedanken machen, was ihre neuen Kollegen im Job tragen, und danach ihre eigenen Klamotten aussuchen, dachte Zoe belustigt, als sie in den Aufzug gestiegen war und die Etagenzahlen auf dem Fahrstuhldisplay vor ihren Augen vorbeiwischten.
Als sie im neunundzwanzigsten Stock in ihrem neuen Büro ankam, wurde sie erst einmal von einem Hinterteil begrüßt. Direkt hinter der Eingangstür und vor einem Ganzkörperspiegel hatte sich ein Wesen in
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