New York für Anfaengerinnen
Feuer, Zoe«, rief Tom ihr noch hinterher. Und ohne sich umzudrehen und ihn anzuschauen, erkannte sie an seiner Stimme, dass er sich köstlich amüsierte. Dann war sie endlich draußen auf der Lexington Avenue angelangt. Ein hupender gelber Schulbus und ein kreischendes Feuerwehrauto donnerten an ihr vorbei. Und Zoe liefen Wuttränen die Wangen hinunter.
Es war nicht leicht nach so einer Demütigung, am nächsten Morgen aufzustehen und wieder an den gleichen Ort zu marschieren und den gleichen Menschen in ihre gleichen Gesichter zu schauen. Sie überlegte ernsthaft, die Bettdecke über ihren Kopf zu ziehen und einfach niemals mehr aufzustehen.
Vielleicht war die Sache mit dem Lebenumkrempeln, dem foolish -Sein, nichts als eine fürchterlich naive Idee. Verwegenheit und Spontaneität lagen ihr einfach nicht so besonders. Schließlich war sie eine Art Serientäterin. Eine Serien-Monogamistin. Seit sie an Jungs denken konnte, hatte sie immer eine feste Beziehung gehabt. Eine nach der anderen. Eigentlich war sie nie lange solo gewesen. Ein paar Wochen vielleicht, dann kam der nächste. Sie hatte sich immer in jede Beziehung voll hineingeschmissen und sich über den jeweiligen Mann definiert.
Mit dem Outdoor-Freak ging sie mountainbiken und fuhr zwei Mal im Urlaub zum Zelten nach Kanada, obwohl ihr schon beim ersten Mal nach der allerersten Nacht auf der Isomatte der Rücken wehtat und sie inmitten Milliarden von Stechmücken keinen einzigen Schwarzbären antrafen. Der Clubber nahm sie mit auf Raves nach Ibiza, wo sie gemeinsam die Nächte durchtanzten und Dinge rauchten, von denen Zoe lieber nicht wissen wollte, was sie waren. Denn im Grunde interessierten Drogen sie eigentlich nicht, aber es gehörte irgendwie dazu.
Und Benni? Mit dem konnte man einfach so gut reden. Er las Bücher, hatte im passenden Moment immer einen Hegel oder Kant parat und träumte davon, einen literarischen Salon zu eröffnen. Wie im Berlin der Gründerzeit. Benni war einfach so wahnsinnig zivilisiert für einen Mann.
Jetzt war Zoe also zum ersten Mal so richtig solo. Und vielleicht auch ein bisschen alleine. Und hatte wieder einmal Bammel vor der eigenen Courage.
Ihr Blick fiel auf das angeranzte Büchlein, das neben ihr auf dem Schlafzimmerboden lag. Vielleicht sorgte Eros’ heilige Schrift ja für Erleuchtung im Zoe-Leben, dessen Zukunftsaussichten momentan eher nebulös waren? Die Seiten waren abgegriffen und ein bisschen speckig. Wie vielen Neuamerikanerinnen sie wohl schon geholfen hatten, sich einzuleben? Zoe blätterte ziellos darin herum, blieb dann aber an einer Seite mit Eselsohr und dem Stichwort Kostenstelle hängen.
Oberstes Gebot: Never kiss the Kostenstelle
Geh nie mit jemandem aus der gleichen Abteilung ins Bett – und schon gar nicht auf der Weihnachtsfeier oder dem Betriebsfest –, denn am nächsten Tag und am Tag danach und am Tag danach und so lange, bis du kündigst und nach Neuseeland ziehst, triffst du den Typen im Büro immer wieder. Gilt weltweit.
Für die USA speziell gilt: Jede office romance kann eine potentielle Klage wegen sexueller Belästigung mit sich bringen. Siehe auch: Enthüllung. Kinofilm mit Michael Douglas und Demi Moore, 1994.
Na, bravo, dachte Zoe, drehte sich im Bett auf den Rücken und starrte an die Decke. Volltreffer! Doch dann hatte sie plötzlich einen Gedanken, der direkt aus Allegras Gehirn hätte kommen können: Hatten Chefs nicht ihre eigenen Kostenstellen?
*
Kurze Zeit später betrat Zoe das Großraumbüro im neunundzwanzigsten Stock mit ihrem iPhone am Ohr und schien schwer in ein wichtiges Telefongespräch vertieft zu sein. Tatsächlich hatte sie nicht einmal eine Nummer gewählt. Sie tat nur so, um möglichst schnell, und ohne irgendwas zu irgendjemandem sagen zu müssen, in ihr Zimmer zu kommen. Dort zwang sie sich, sofort ihre Geliebten-Notizen durchzugehen. Arbeit lenkt ab, war schließlich Allegras Theorie. Wer arbeitete, hatte keine Zeit zum Grübeln.
Jeder zweite Mensch, der in einer festen Beziehungen lebt, geht irgendwann fremd, hatte Zoe recherchiert. Ironischerweise beruhte die Statistik auf der angeblich repräsentativen Umfrage eines Kondomherstellers. Anfangs fühlt sich die Geliebte der Ehefrau überlegen. Dem Muttchen, das nichts weiß, nichts merkt. Mit der in der Kiste schon längst nix mehr läuft, außer vielleicht Blümchensex. Die Geliebte ist unabhängig, frei – was attraktiv ist für einen (Ehe-)Mann, der nur eines will:
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