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New York für Anfaengerinnen

New York für Anfaengerinnen

Titel: New York für Anfaengerinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Remke
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schnieken Gefährt in Sag Harbor auf der minikleinen, rostigen Autofähre einschifften, die im Zehn-Minuten-Takt nach Shelter Island pendelte, von wo aus eine zweite dann auf die Nordseite nach Greenport tuckerte. Dort kamen sie in einer anderen Welt an. Alles schien drei Größen kleiner zu sein: die in Pastellfarben gestrichenen viktorianischen Häuschen mit ihren weißen Gartenzäunen, die Autos – und vor allem die Egos der Menschen. Die Menschen selbst hingegen schienen ein bis zwei Kleidergrößen hinzugewonnen zu haben und einen normalen Body-Maß-Index zu besitzen.
    Die Route 25 schlängelte sich an Ständen vorbei, wo frisches Herbstgemüse und leuchtend orangefarbene Kürbisse in allen erdenkbaren Größen direkt vom Farmer verkauft wurden. An Pferdekoppeln und endlosen Reihen von Reben, an denen vor kurzem noch satte Trauben gehangen haben mussten. Sie machten eine Weinprobe in der Paumanok Vineyard in Jamesport. Später führte Tom sie ins North Fork Table & Inn in Southold, wo nur lokale, biologisch angebaute Zutaten verwendet wurden, zum Dinner aus.
    »Hast du Spaß?« Tom prostete ihr mit einem Glas Paumanok Festival Chardonnay zu.
    »Sehr«, antwortete sie und lächelte.
    Tom und Zoe. Zoe und Tom. Irgendwie kommen wir beide zwar aus völlig verschiedenen Welten, dachte Zoe, aber dennoch scheinen wir das Gleiche zu schätzen: Authentizität. Und irgendwie fühlte Zoe Schuhmacher sich bei Tom Fiorino einfach grundsätzlich wohl und sicher. Nicht, weil er Geld hatte oder einen wichtigen Job, das war ihr eigentlich egal. Sondern weil sie tief in sich drin spürte, dass er ein guter Mensch war.
    Ein guter Mensch. Wie altmodisch das klang. Oder wie neumodisch. Wie ein Bestseller von Richard David Precht. Aber auf den guten Menschen kam es letztendlich an, nicht wahr?
    Nur vor einem grauste es Zoe ein bisschen. »Kommen deine Eltern wirklich heute Abend? Ist es nicht etwas zu früh für die ganze Familien-Kennenlernerei?«
    »Im Gegenteil. Es ist viel zu spät. Ich hätte dich sofort nach deiner Brandstiftung mit nach Hause schleppen sollen. Meinen Vater wirst du sekundenschnell um den Finger wickeln, und meine Mutter ist mit ihren Gedanken ohnehin immer ganz weit weg.«
     
    *
     
    So nah am Atlantik kam der frühe Morgen oft von einem sanften Nebelschleier begleitet, den die aufgehende Sonne in silbrig-warmem Licht glitzern ließ.
    »Ich liebe diesen Übergang von der Nacht zum Morgen«, sagte Tom leise. »Wenn noch keiner wach ist. Man hat dann diese wunderbare Illusion, nicht nur einen kompletten Tag vor sich zu haben, sondern so etwas wie Extra-Zeit. Als hätte man eine Stunde, die eigentlich gar nicht existiert, geschenkt bekommen.«
    »Das Morgengrauen hat seinen Namen durchaus verdient, finde ich.«
    »Wieso das denn?«
    »Wer morgens um fünf Uhr noch wach ist, hat in der Nacht zuvor meist etwas getan, das er den restlichen Tag lang schwer bereuen wird.«
    »Zum Beispiel?«
    »Das eine Glas Chardonnay zu viel getrunken zu haben, das einen völlig willenlos gemacht hat.«
    »Schlimm so was.«
    »Ohne sich abzuschminken ins Bett gegangen zu sein.«
    »Tragisch.«
    »Mit einem Mann geschlafen zu haben – mehrfach! –, dessen Eltern spätabends noch angekommen sind und in irgendeinem der achtundzwanzig Nebenzimmer ruhen.«
    »Geradezu fahrlässig«, murmelte Tom und strich Zoe voll konzentriert mit seiner rechten Hand den nackten Rücken entlang über den Oberschenkel bis zur Kniekehle hinunter, als wolle er die soeben erkundete Gegend kartografieren.
    Zoe hatte tatsächlich vergangene Nacht kein Auge zugetan, woran dieser äußerst talentierte Mann in ihrem Gästezimmerbett schuld war. »Bist du sicher, dass deine Mutter nicht zum Gute-Nacht-Sagen noch im Zimmerchen ihres Upper East Side Boys vorbeigeschaut hat?«, fragte sie.
    »Nein«, grinste er und setzte sich auf. »So etwas bringt sie durchaus fertig.«
    Dann zog er Zoe zu sich hoch und küsste sie.
    »Oh Gott.« Sie malte sich aus, wie Mrs. Fiorino das angestammte Zimmer ihres Erstgeborenen leer vorfand, weil der sich gerade mit dem noch nicht einmal ordentlich vorgestellten, schamlosen Hausgast-Luder vergnügte – und ließ sich theatralisch zurück in die Kissen fallen. »Ich kann’s gar nicht abwarten, zum Frühstück zu gehen.«
    »Bis dahin, meine Liebe, sind noch mindestens vier Stunden Zeit.«
    »Die sollten wir gebührend nutzen, wenn wir später ohnehin aufgrund von Moralvergehen am Pranger des Hauses stehen werden. Damit es sich

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