New York für Anfaengerinnen
Tages.
»Es ist kurz nach Mitternacht, du Nase«, antwortete Zoe und guckte von ihrem Laptop hoch. »Aber wie wäre es mit einem Stück Streuselkuchen vom Le Petit Café nebenan?«
»Hat das noch auf?«
»Nö, aber wir haben noch ein Riesenstück von vorgestern übrig. Ist nur ein bisschen angetrocknet am Rand.«
»Das ist gut fürs Erste. Aber später koche ich uns etwas richtig Leckeres.«
»Was denn?«, wollte Zoe wissen.
»Geheimnis.«
Gegen ein Uhr morgens verschwand Ben in der Küche. Zoe nutzte die Gelegenheit, um zu duschen, was sie gefühlt seit mehr als achtundvierzig Stunden nicht getan hatte. Als sie anschließend vor dem angelaufenen Badezimmerspiegel stand, hörte sie Ben in der Küche mit Töpfen hantieren.
»Na, da bin ich mal gespannt«, murmelte Zoe. »Wenn ich mich recht erinnere, ist der Kühlschrank so leer wie bei jemandem, der morgen nach Australien auswandern will.«
Dann klopfte es an der Badezimmertür. »Es ist angerichtet.«
Als Zoe die Küche betrat, zündete Ben gerade zwei farblich nicht zusammenpassende Kerzen an, die er in leere Weinflaschen gesteckt hatte, eine rot und eine schweinchenrosa, die eine eher ein Stumpf, die andere noch brandneu. Auf dem hölzernen Küchentisch war eine pastellfarbene Tischdecke mit niedlichen Ostermotiven ausgebreitet, die Ben in den Untiefen von Allegras Schubladen gefunden haben musste. Zur Abwechslung war mit richtigem Besteck gedeckt (das irgendjemand anschließend würde abspülen müssen) und nicht mit Plastikgabeln und -messern.
»Setzten Sie sich, Mylady.« Ben zog für sie galant den Stuhl unter dem Tisch hervor und schob wie ein gelernter Oberkellner Zoe samt Stuhl wieder ein bisschen gen Tisch. Dann servierte er das Festmahl: Spaghetti mit Tomatenketchup. Dazu wurde Leitungswasser mit Multivitaminbrausetablette der Geschmacksrichtung Mango gereicht. Es war eine der köstlichsten Mahlzeiten, die Zoe seit langem zu sich genommen hatte.
Ben hatte sich in eine Einzimmerbude auf der Schanze eingemietet, wo er, einmal abgesehen von den durchgearbeiteten Nächten, auch tatsächlich schlief. Er behandelte Zoe beschützerisch wie ein großer Bruder. Er achtete darauf, dass sie regelmäßig aß. Er schickte sie ins Bett, wenn ihr gegen zwei Uhr morgens die Augen zufielen, während er die Nacht durcharbeitete. Und er wimmelte sogar ihre neugierige Mutter am Telefon ab, die ständig wissen wollte, ob das in ihren Augen doch sehr diffuse Projekt voranginge. Dabei flirtete er mit Frau Schuhmacher so heftig, dass Zoe die Ohren klingelten.
»Ich kann mich noch sehr gut an Ihren lauwarmen fränkischen Apfelkuchen erinnern. Zum Sterben lecker!«, trällerte er in diesem leicht sacharinen Ton, den Männer anschlugen, die gut mit mittelalterlichen Sekretärinnen konnten und deshalb immer die besten Termine beim Chef bekamen.
Erstaunlicherweise hatte sich zu keiner Zeit irgendein prickelndes – oder peinliches – Gefühl zwischen Ben und ihr breit gemacht, wie Zoe das von früheren Ex-Freunden kannte. Kurz: Die Welt mit Ben war ihr vertraut wie ein gut eingelaufenes Paar Schuhe. Nichts drückte, nichts klemmte. Zoe wusste immer genau, woran sie war.
*
Ende Februar, genauer gesagt am 29., rollte Ben dann die erste Beta-Version von Sehnsucht zum internen Test aus. Er drehte Zoe den großen Bildschirm zu, als er feierlich die Startseite von www.sehnsucht.de aufrief. Das Sehnsucht -Logo in einer verspielten Schreibschrift war in zartem Orange mit Graustich gehalten. Auf der restlichen Seite dominierten Weiß- und Grauschattierungen, die Ben anfangs allzu understatementmäßig und kalt gefunden hatte. Als Zoe ihm dann aber vom Atlantik glatt geschliffene Kieselsteine und Muscheln zeigte, die sie in den Hamptons gesammelt hatte, war ihm plötzlich klar, welche Stimmung sie erzeugen wollte.
Zoe klickte auf den Channel Haus & Garten. Als Aufmacher tat sich eine Geschichte über Lavendel auf: einundzwanzig Mal kochen, backen und designen mit Lavendel. Zoe fuhr mit der Maus weiter zum Channel Menschen und klickte diesen an. Bei »Menschen, die die Welt verändern« war der Aufmacher ein Porträt von der Aktivistin Somaly Mam, die als Kind als Sexsklavin ausgebeutet wurde und sich heute erfolgreich gegen Kinderprostitution und Menschenhandel einsetzte. Auf jeder Seite lief rechts zudem eine Spalte mit Werbung für nachhaltige Möbel und Wohnaccessoires von OrganicDesign, einer Firma, die Zoe als Hauptsponsor für die ersten dreißig Tage des
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