New York für Anfaengerinnen
Alleingang.
»Hegel, meine Liebe. Hegel!«
»Dann eben Hegel, du verdammter Schlauschwätzer«, sagte sie leise, weil sie es sich einfach nicht verkneifen konnte, und trat mit dem Fuß gegen die Pizzakartons. Zoe ertappte sich, dass sie schon wieder drauf und dran war, einen Streit mit Ben anzuzetteln. Weil er sich schon wieder auf der Metaebene seines Arbeitslebens verhedderte, anstatt, verdammt noch mal, fertig zu werden. Ich klinge wie meine eigene Mutter, befand sie und schüttelte sich etwas vor Grauen. Die musste auch immer das letzte Wort haben.
Genau zu ihr waren sie auf dem Weg, je nach Ansichtssache zur »köstlicher Apfelkuchen«-Frau-Schuhmacher oder der »Ich hab’s ja gleich gewusst«-Mama. Es war Ende März, die Osterfeiertage standen an, und Ben hatte sich von Mutter Schuhmacher am Telefon überreden lassen, Ostern in Ansbach bei Zoes Eltern zu verbringen. Zoe war, gelinde gesagt, stinksauer.
Während sie sinnlos im Flur herumstand und auf Ben wartete, dachte sie in einem Moment der Gefühllosigkeit über die vergangenen vier Wochen nach. Sie hatte Ben tatsächlich wieder lieben wollen. Mit all ihrer Willenskraft. Das Leben mit ihm wäre der Gegenentwurf zu einem Leben mit Tom gewesen. Aber Zoe war gnadenlos an sich selbst gescheitert. Es ging einfach nicht. Sie brachte es nicht fertig, sich dazu zu zwingen, Ben zu lieben. Natürlich hatte sie ihn lieb, wie man einen Bruder lieb hat. »Oder einen Hund«, murmelte sie und trat noch einmal kräftig gegen die Pizzakartons, die mittlerweile auf einem unordentlichen Haufen im Flur lagen. Aber verliebt in ihn war sie nicht.
Eine aufgewärmte Beziehung ist wie aufgewärmter Kaffee, dachte Zoe. Bitter. Einfach bloß bitter. Das hätte Zoe Schuhmacher aus Frauenromanen und romantischen Hollywoodkomödien eigentlich wissen sollen. Jetzt wusste sie es aus erster Hand. Das lange Wochenende in Ansbach würde die Hölle werden.
Als Zoe und Ben schließlich rennend und keuchend am Bahnsteig 7 des Hamburger Hauptbahnhofes ankamen, sahen sie gerade noch die roten Rücklichter des ICE Bitterfeld-Wolfen, der über Hannover und Kassel-Wilhelmshöhe nach Nürnberg fuhr, aus der Halle rollen. Er war mit sieben Minuten Verspätung abgefahren, stand auf der elektronischen Anzeigentafel.
»Verdammt noch mal«, schrie Zoe. »Das ist alles nur deine Schuld.« Ihr entging nicht, wie schrill ihre eigene Stimme war.
»Jetzt hab dich nicht so«, versuchte Ben zu beschwichtigen. »In einer Stunde fährt ja der nächste. Ich lade dich zu Gosch auf eine Runde Krabben in Knoblauchsauce ein.«
Krabben in Knoblauchsauce? Der Mann hat echt die emotionale Intelligenz eines Tintenfisches, wütete Zoe innerlich. »Ich will aber nicht in einer Stunde fahren. Und Krabben in Knoblauchsauce will ich auch nicht. Ich will überhaupt nicht fahren.«
»Wie, du willst überhaupt nicht fahren?«
»Ich will nicht nach Ansbach fahren. Und schon gar nicht mit dir. Ich will das alles hier nicht.«
»Was soll das denn jetzt heißen? Es tut mir leid, dass wir den Zug verpasst haben. Mea culpa.«
»Ben, es geht nicht um den Scheißzug. Es geht um uns. Merkst du das nicht? Wir haben uns verpasst. Nicht erst hier auf dem Bahnhof, sondern vor Jahren schon.«
Ben Nigmann hatte sich keinen Deut verändert, das war Zoe jetzt klar. Er war immer noch der alte Benni Nigmann. Und irgendwie konnte er gar nichts dafür. Es lag an ihr. Sie wollte keine eingelaufenen Schuhe, die, wenn sie ehrlich war, längst ausgelatscht waren. Sie wollte das alte Leben mit dem alten Benni nicht einfach wieder weiterleben.
»Ich verstehe nur Bahnhof, Zoe. Willst du etwa mit mir Schluss machen?«
Zoe sah sich um. Sie veranstaltete hier auf einem Bahnsteig gerade eine Szene wie eine bemitleidenswerte Schauspielerin in einem drittklassigen Fernsehfilm ( Lodernde Herzen am Abgrund oder so), die eigentlich Schmerzensgeld für die klischeehafte Rolle verlangen sollte. Zoe erkannte sich selbst nicht wieder.
»Es hat keinen Sinn, Ben. Unsere Beziehung ist wie … wie eine verwelkte Topfpflanze. Wir haben versucht, sie wieder aufzupäppeln, aber es hat nichts genutzt. Wenn wir ehrlich sind, gießen wir sie schon lange nicht mehr.«
»Das stimmt doch gar nicht. Ich gieße sie noch! Wir kriegen das schon wieder hin.«
»Wenn nur einer gießt, ist es nicht genug, Ben.« Sie ließ ihn stehen und wühlte sich durch den Menschenstrom des Bahnhofs gen Ausgang. Aus dem Augenwinkel nahm sie noch wahr, wie ein großer Mann, dessen
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