New York - Love Story
ausgewogene
Ernährung erhalten. Bitte denk daran, dass die Mädchen alle
Mahlzeiten aufessen müssen. Verstanden?«
»Yes«, gebe ich kleinlaut zurück. Doch Madeleine hat bereits
aufgelegt.
Ich atme tief durch, bevor ich das Zimmer der Zwillinge
betrete, dieses Mal, ohne anzuklopfen. Gwyn und Gwen
schauen nicht einmal hoch, als ich hereinkomme. Ich erkläre
ihren Hinterköpfen, was Madeleine mir gerade am Telefon
aufgetragen hat. Wie ich schon erwartet habe: keine Reaktion!
»Eure Mutter wird nicht begeistert sein, wenn ihr eure
Aufgaben nicht gemacht habt«, versuche ich den Trick anzuwenden,
den ich heute Morgen von Danuta gelernt habe.
Leider funktioniert er bei mir nicht. Wahrscheinlich können
die Zwillinge sich denken, dass ich mehr Stress bekommen
werde als sie selbst, wenn nicht alles nach Madeleines Plan
läuft. Zumindest ist das der Eindruck, den ich nach gerade
mal einem halben Tag von meiner Gastmutter gewonnen
habe.
Die Barbies werden schon wieder umgezogen. Dieses Mal
hat eins der Mädchen – ich weiß immer noch nicht, wer
Gwyn und wer Gwen ist – ein lila Rüschenkleid ausgewählt,
das andere hat sich für ein perlenbesetztes Brautkleid entschieden.
So langsam weiß ich mir nicht mehr zu helfen. Mir war
doch von Anfang an klar, dass es eine bescheuerte Idee ist,
mich als Au-pair zu versuchen. Aber es ist noch viel komplizierter,
als ich es mir vorgestellt habe!
»Eure Mutter möchte, dass ich euch bei den Aufgaben
helfe«, starte ich einen neuen Versuch. »Wollt ihr sie mir
nicht wenigstens mal zeigen?«
Gwyn und Gwen tuscheln miteinander, springen auf und
laufen zu ihren zwei identischen weißen Holzschreibtischen.
Ich kann mein Glück kaum fassen, als jede von ihnen ein
Buch in die Hand nimmt und damit zu mir kommt. Auffordernd
strecken beide mir ihre Bücher hin. Wie war das
noch? Welche Seiten sollten sie durcharbeiten? Ich will schon
in meiner Jeans nach dem inzwischen reichlich zerknitterten
Brief kramen, als mein Blick auf das Cover der Lernbücher
fällt. Es ist übersät mit schwarzen Schriftzeichen, doch die einzigen drei Wörter, die ich entziffern kann, lauten: »Chinese
for beginners«.
Ich muss wohl einen ziemlich blöden Gesichtsausdruck
gemacht haben, denn Gwyn und Gwen beginnen, heftig zu
kichern.
Shit! Wieso müssen diese beiden Siebenjährigen ausgerechnet
Chinesisch lernen?
»Sorry, ich spreche kein Chinesisch.« Als ob sie sich das
nicht längst gedacht hätten.
Plötzlich beginnen sie, um mich herumzuhüpfen wie zwei
kleine Indianer um den Marterpfahl, und intonieren einen
monotonen Singsang: »Stupid, you are stupid. Stupid. So
stupid.«
Ich merke, wie die Tränen in meinen Augen zu brennen
beginnen. Reiß dich zusammen, schimpfe ich stumm mit
mir selbst. Aber es ist kein schönes Gefühl, wenn zwei kleine
Monster – auch wenn sie erst sieben Jahre alt sind – um mich
herumhüpfen und dabei singen, wie dumm sie mich finden.
Ich balle meine Hände zu Fäusten und bohre meine kurzen
Nägel in die Handflächen, bis das Brennen in meinen Augen
verschwindet.
Einmal mehr watschelt in diesem Moment mein rettender
Engel durch die Tür, in der einen Hand zwei Bügel, an denen
Kinderkleider hängen, in der anderen zwei Paar silberne Ballerinas.
Als sie Danuta entdecken, beenden die Zwillinge augenblicklich
ihren Tanz, und die Haushälterin tut so, als hätte
sie nichts davon mitbekommen. Ich nicke ihr dankbar zu.
»Das hier sollen die Zwillinge anziehen.« Danuta drückt
mir die Kleider und die Schuhe in die Hand und lächelt mich
aufmunternd an.
Bitte hilf mir
, denke ich, aber Danuta ist schon wieder verschwunden.
Da habe ich eine Idee!
Ich gehe hinüber zu einem der beiden Himmelbetten
und breite die Kleider nebeneinander darauf aus. Vorsichtig
streiche ich den Stoff glatt, der sich weich wie Seide anfühlt.
Wahrscheinlich ist es sogar Seide.
»Wow, die sind ja wunderschön!«, rufe ich begeistert. »Die
sehen ja aus wie Prinzessinnenkleider!«
Mein Plan ist simpel: Alle kleinen Mädchen lieben schöne
Anziehsachen! Wie kriege ich sie also dazu, die Sachen anzuziehen,
die ihre Mutter für sie ausgesucht hat? Ich muss sie
glauben machen, dass es die schönsten sind, die es gibt.
Bei genauerer Betrachtung stelle ich fest, dass das gar nicht
weit von der Wahrheit entfernt ist. Die identischen Kleider
sind aus nachtblauer Seide mit einer Knopfleiste aus winzigen
bezogenen Knöpfen an der Vorderseite und über und
über mit einem Sternenmuster aus silbernen Fäden
Weitere Kostenlose Bücher