New York - Love Story
Schiebedach gleitet zu und der Chauffeur
gibt erneut Gas.
New York rauscht an uns vorbei und David hüllt sich in
Schweigen.
Arroganter Schnösel,
denke ich zum wiederholten
Mal. Aber jetzt habe ich auch keine Lust mehr auf ein
Gespräch mit ihm. Ich habe genug darüber gehört, was er
von den Deutschen im Allgemeinen und den
German girls
im Besonderen hält. Stumm starren wir beide aus den verspiegelten
Scheiben.
Die Straßen, durch die wir fahren, werden irgendwann
kleiner und enger. Aber auch bunter. Vor winzigen Geschäften
stehen mit Gemüse überladene Verkaufstische, in den
Schaufenstern hängt Geflügel, auf gestreiften Markisen erkenne
ich asiatische Schriftzeichen.
Wieder biegt Jesús ab und gleich darauf noch einmal. In
einer schmalen Straße mit schäbigen Häusern hält der Wagen
schließlich an.
»Gracias«, wendet David sich an unseren Chauffeur. »Jesús
bringt dich jetzt zur Wall Street, da kannst du Ausschau nach
deinem Millionär halten. Oder dir vom Battery Park aus
die Freiheitsstatue anschauen. Touristenprogramm wie gewünscht.
« Damit steigt David aus und schlägt die Autotür zu,
ohne sich zu verabschieden.
Ich bin wie vor den Kopf gestoßen. Dieser Mensch ist so
was von … unhöflich! Durch das geschlossene Fenster starre
ich ihm Löcher in den Rücken, als er die Straße kreuzt und
auf eine unscheinbare Kirche zusteuert. Was will er denn
jetzt in einer Kirche? Sein unmögliches Verhalten mir gegenüber
beichten und um Vergebung bitten? Na, vielleicht wird
sie ihm ja dort gewährt. Ich jedenfalls habe nicht vor, ihm
jemals zu verzeihen.
In diesem Moment gibt Jesús wieder Gas, und ich kann
nicht sehen, ob David tatsächlich in der Kirche verschwindet.
Erschöpft lasse ich mich in den weichen Sitz plumpsen und
schaue weiter aus dem Fenster.
Und dann, zwei Ecken später, werde ich abrupt aus meiner
Lethargie gerissen. Da steht Simon! Auf der anderen Straßenseite
an eine Hauswand gelehnt. Er trägt einen weißen
Kittel und aus irgendeinem Grund hat er eine weiße Haube
auf dem Kopf, sodass ich seine schwarzen Haare nicht sehen
kann. Aber ich bin mir trotzdem zu hundert Prozent sicher:
Das muss Simon sein. Seine Haltung ist für mich unverkennbar.
Die breiten Schultern hat er ein bisschen hochgezogen,
den Kopf schräg gelegt, einen Fuß über den anderen geschlagen.
Er stützt sich mit dem Ellbogen an der Backsteinfassade
eines schmuddeligen Imbisses ab.
»Stopp, halt, wait!«, brülle ich. Jesús versteht nicht sofort,
was ich von ihm will. Als der Wagen endlich zum Stehen
kommt, sind wir schon fast einen Block von dem kleinen Imbiss
entfernt, vor dem ich gerade Simon entdeckt habe.
Shit!
Hektisch springe ich aus der Limousine, mache kehrt
und laufe die Straße zurück. Entgegenkommende Passanten
remple ich auf dem schmalen Bordstein unsanft zur Seite.
Doch als ich endlich vor dem Imbiss anlange, ist es schon
zu spät. Simon ist nicht mehr da!
Ich drehe mich um meine eigene Achse, suche die Straße
nach der bekannten Gestalt ab. Ich drücke meine Nase gegen
die schmierige Scheibe des Ladens. Nichts. Kein Simon.
Bedrückt mache ich mich auf den Rückweg zur wartenden
Limousine. Ob das nur eine Halluzination war? Ausgelöst
durch meinen intensiven Tagtraum beim Empire State Building?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass meine Sehnsucht
nach Simon so groß ist, dass ich fast verrückt davon werde.
Und dass ich dringend meine Anstrengungen verstärken
muss, um ihn endlich ausfindig zu machen!
Unschlüssig wiege ich das kleine silberne Handy in meiner Hand. Starre darauf. Lege es neben mich. Nehme es wieder
in die Hand. Ich sitze auf meinem Bett, und um mich
herum habe ich die drei Seiten mit Agentur-Kontakten ausgebreitet,
die Maja mir geschickt hat. Eigentlich ist es ganz
einfach: Ich muss nur eine Nummer eintippen und schon
bin ich Simon ein Stückchen näher. Vielleicht …
Andererseits hat Madeleine mir das Handy sicher nicht
geschenkt, damit ich Musikagenten abtelefoniere. Das kleine
Telefon ist nur für den Notfall gedacht. Aber befinde ich
mich nicht in einer Notlage? Wie soll ich jemals Simon finden,
wenn ich jetzt nicht anfange, diese Kontakte anzurufen?
Zum Glück ist Madeleine noch mit den Zwillingen außer
Haus. Dank Davids Zeitraffer-Sightseeing-Tour war ich bereits
am frühen Nachmittag zurück im Appartement. Kurz
entschlossen wähle ich die erste Nummer.
»The Agency Group, Vanessa speaking, how may I help
you?«
Die Frauenstimme klingt superfreundlich und
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