New York - Love Story
mir, dann wieder starr geradeaus. Unsere
Kutschfahrt nähert sich dem Ende. Schon kann ich ein
Stück vor uns die geparkten anderen Kutschen mit den dösenden
Pferden sehen.
»Ja«, sagt David, und ich kann spüren, dass ihn ein schlechtes
Gewissen quält. »Leider bin ich um jede Minute froh, die
ich an der Columbia verbringen kann. Meine Mutter hat
beinahe so viele Männer verschlissen wie Nannys. Hugo ist
bereits ihr vierter Ehemann. Und ich kann nicht behaupten,
dass ich auch nur mit einem von ihnen besonders gut ausgekommen
wäre.«
Der Kutscher dirigiert sein Pferd hinter die anderen wartenden
Kutschen und zieht an den Zügeln. Noch bevor die
Kutsche endgültig zum Stehen gekommen ist, sind Gwyn und
Gwen schon von ihren Sitzen gerutscht.
»Und jetzt?«
»Was machen wir jetzt?«
David wirft einen Blick auf seine (garantiert sauteure)
Armbanduhr.
»Jetzt liefern wir euch zu Hause ab, bevor an diesem Wochenende
doch noch jemand eine Vermisstenmeldung aufgibt.«
Die Zwillinge nörgeln ein bisschen, lassen sich aber willig
von David an den Händen nehmen und zu einem Taxi ziehen.
Wahrscheinlich sind sie von dem Sonntagsprogramm
inzwischen genauso erschöpft wie ich.
Nur dass ich meine Erschöpfung kaum noch spüre. Das
Gespräch mit David hat mich zu sehr aufgewühlt. Wie wütend
er auf seine Mutter sein muss! Auf einmal bin ich sehr
froh darüber, meine Mom zu haben. Auch wenn ich gerade
eigentlich nicht gut auf sie zu sprechen bin.
David ist jedoch schon nichts mehr anzumerken, als er
sich mit einem fröhlichen Lächeln zu mir umdreht. »Und
wenn wir die beiden Nervensägen abgeliefert haben, dann
zeige ich dir meinen Lieblingsplatz in New York!«
»Wo gehen wir denn hin?« Aufgeregt laufe ich neben David
her und versuche einmal mehr vergeblich, mit seinen langen
Schritten mitzuhalten.
»Überraschung«, gibt er sich geheimnisvoll.
Da wir zu Fuß gehen, kann das Ziel nicht allzu weit entfernt
sein, das hoffe ich zumindest. Dass wir uns wieder
Richtung Central Park bewegen, macht mich jedoch stutzig.
Hoffentlich plant David keinen ausgedehnten Abendspaziergang.
Dieses Tempo halte ich nämlich nicht lange durch. Ich
habe noch Muskelkater von gestern!
»Du weißt aber, dass ich erst sechzehn bin«, versuche ich
eine neue Strategie. »Kein Eintritt in Bars und Clubs. Kein
Alkohol.«
»Keine Sorge. Mit mir kommst du in jeden Club rein. Und
Alkohol kann ich uns auch beschaffen, wenn du möchtest.«
»Nein!« So war das doch nicht gemeint. Jetzt bin ich immer
noch nicht klüger.
Wir sind inzwischen auf der Park Avenue angelangt und
gehen in Richtung Metropolitan Museum. Hat das um diese
Zeit denn noch geöffnet? Es wird ja schon langsam dunkel.
Bis Madeleine und Hugo endlich von ihrem Wochenendtrip
zurückkamen, war es bereits so spät, dass ich fest damit gerechnet
habe, dass David unser Programm komplett abblasen
würde, was schade gewesen wäre. Aber auf eine Late-Night-Führung durchs Kunstmuseum habe ich jetzt ehrlich
gesagt keine große Lust.
Nein, das Metropolitan hat geschlossen. Das kann ich schon
von Weitem sehen. Der helle Sandsteinbau wird von zahlreichen
Scheinwerfern von außen angestrahlt und wirkt durch
die Beleuchtung fast noch eindrucksvoller als tagsüber.
Ein geschlossenes Museum scheint keine große Anziehungskraft
auf Touristen auszuüben. Die breite Treppe und
der Platz davor sind menschenleer. Was will David hier?
»Mach mal die Augen zu«, fordert er mich auf, als wir am
Fuß der Stufen angekommen sind.
Verwundert ziehe ich die Augenbrauen ein Stück zusammen.
»Ich tue dir nichts«, verspricht David belustigt.
Na gut. Zögernd folge ich seiner Anweisung. Blinzele.
»Nicht schauen!«
Nach einer gefühlten Ewigkeit ruft David endlich nach mir,
seine Stimme klingt überraschend weit entfernt. Ich öffne
die Augen – und erblicke ihn mehrere Meter über mir. Er hat
eine Picknickdecke mitgebracht und über die Stufen gebreitet.
Eine Kerze flackert im leichten Wind, der heute Abend
aufgekommen ist. Daneben stehen zwei Gläser – hoffentlich
gibt es keinen Sekt! – und ein großer Pappbecher. Beim Näherkommen
erkenne ich, dass es sich um Eiskrem handelt.
Kein Wunder, dass David ein solches Tempo vorgelegt hat,
wenn er die ganze Zeit fürchten musste, dass ihm das Eis in
der Tasche schmilzt.
»Möchten Sie Platz nehmen?« David verbeugt sich wie ein
Oberkellner. »Ist vielleicht nicht das Waldorf Astoria, aber
der schönste Platz, den ich in New York kenne.«
»Auf das
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