New York - Love Story
hinweg nach meiner Hand. Überrascht drücke
ich ihre kleinen Finger.
»Also, es war einmal ein Mädchen, das war schön, aber unglücklich.
Denn es lebte zusammen mit seiner bösen Stiefmutter
und seinen Stiefschwestern, die es wie ein Dienstmädchen
behandelten …«
Ich erzähle den beiden das Märchen, so wie ich es in Erinnerung
habe und mit den Wörtern, die mir im Englischen
zur Verfügung stehen. Gwyn und Gwen lauschen gebannt.
»Dann kam der Prinz mit dem Schuh, den Aschenputtel
auf dem Ball verloren hatte, und ihre beiden Schwestern probierten
ihn an. Aber er passte natürlich keiner von beiden,
weil Aschenputtel viel kleinere Füße hatte. Und so hat der
Prinz sein Aschenputtel schließlich gefunden. Er hat ihr den
Schuh über den Fuß gezogen und um ihre Hand angehalten.
Sie haben geheiratet und lebten glücklich bis an ihr Lebensende
… happily ever after.«
»Gwyn? Gwen?«
Zuerst hören wir nur seine Stimme, dann steht David
plötzlich vor uns und sieht auf uns herab. Sein Blick ist gehetzt.
Seine feinen Klamotten sind ebenso nass wie meine,
sein schicker Fransenschnitt klebt an seinem Kopf.
»Was habt ihr euch dabei gedacht?« Offensichtlich hat
David weniger Hemmungen als ich, seinen Schwestern Vorwürfe
zu machen. Betreten schauen sie zu ihm auf, rutschen
dabei noch ein bisschen enger an mich heran.
»Ihr seid wirklich zwei kleine Hexen!« David schüttelt seinen
Kopf, dass die Tropfen aus seinen Haaren fliegen wie bei
einem Hund. Dann lacht er – und ich kann spüren, wie die
Zwillinge neben mir erleichtert ausatmen. Sie springen auf,
schmiegen sich an seine Beine, schlingen ihre Arme fest um
seine Taille. Er nimmt die beiden hoch und wirbelt sie herum.
Die Anspannung ist von ihm abgefallen. Er lacht. Und er sieht
richtig nett dabei aus.
Als das rasende Karussell zum Stillstand kommt, streckt
David mir seine Hand hin, um mir vom Boden aufzuhelfen.
Ohne darüber nachzudenken, greife ich danach, und er zieht
mich hoch.
»Danke.« Eindringlich schaut er mich aus seinen grauen
Augen an. Ich bin so überrascht, dass mir keine Erwiderung
einfällt. Schon hat er sich wieder umgedreht und die Zwillinge
an den Händen gefasst.
»Okay«, sagt er. »Lasst uns nach Hause gehen.«
Etwas ist anders, als ich an diesem Sonntagmorgen in die Küche komme. Es fehlt etwas. Richtig: der Körnerbrei!
Statt Schüsseln mit gesundem Schleim steht ein großer Teller
voll frischer Donuts auf dem Tisch, überzogen mit pink, grünem
und gelbem Zuckerguss. Die Zwillinge hocken davor,
strahlen und stopfen sich das süße Frühstück in den Mund.
David sitzt den beiden gegenüber, einen Becher in der Hand,
aus dem ein betörender Duft strömt: Kaffee!
»Kann ich auch einen haben?«, wende ich mich gierig an
Danuta. Die lacht.
»Kein Ayurveda-Tee?«
»Nettes Angebot, aber nein danke!«
Ich setze mich zu den anderen an den Tisch und David
lächelt mir freundlich zu. Ich bin noch immer verwirrt über
seinen plötzlichen Sinneswandel, zumal ich nicht so genau
weiß, was diesen ausgelöst hat. Was, wenn ihm von einer Sekunde
auf die andere wieder einfällt, dass er mich eigentlich
gar nicht leiden kann?
Und die Zwillinge? Sie schmatzen bei dem Versuch, so
große Bissen wie möglich in ihre Münder zu stopfen. Donut-Wettessen – was würde Madeleine bloß dazu sagen? Mich
haben die beiden bisher nicht weiter beachtet. Aber auch in
ihrem Schweigen mir gegenüber liegt eine neue Note. Es wirkt
nicht länger ablehnend auf mich, sondern freundschaftlich.
Ich nippe an meinem heißen Milchkaffee, beobachte Gwyn
und Gwen über den Rand meiner Tasse hinweg und habe
plötzlich eine Idee.
»Da fehlt noch was!«
Verwunderte Blicke folgen mir, als ich aufspringe und aus
der Küche laufe. Wenige Minuten später kehre ich mit einer
Dose in der Hand zurück: »Frrrozen Hot Chocolate«.
»Lust auf kalte heiße Schokolade?«, frage ich die Zwillinge.
Die nicken begeistert.
»Ich will auch«, schaltet sich David mit Kleinjungenstimme
ein. Ich muss grinsen und wende mich schnell zu Danuta um.
»Bitte viermal ›Frrrozen Hot Chocolate‹«, bestelle ich.
»Oder möchtest du auch eine?«
»Ja, setz dich doch zu uns, Danuta«, schlägt David vor und
zeigt einladend auf den freien Stuhl neben ihm.
Die polnische Haushälterin wird ein bisschen rot auf den
Wangen.
»Nein, Mr David«, wehrt sie mit wild wedelnden Händen
ab. »Ich muss doch auf meine schlanke Linie achten.« Übertrieben
streicht sie über ihren runden Bauch, der
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