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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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und mit der größten Feder, die ich je an jemandes Hut gesehen hatte, stand in eigentümlichem Kontrast zum Gelehrtenschwarz seines Gefährten, den ich auf
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    fünfzig Jahre schätzte. Er verbeugte sich schwungvoller als ein irischer Schauspieler und sprach dann stockend zu meinem Herrn, mit einem Akzent, so breit wie die Borte an seinen Ärmeln.
    «Sir, ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn Ihr bei mir speisen wolltet. Wann immer es Euch beliebt, Sir. Absolut.»
    «Ich weiß die Ehre zu würdigen, die Ihr mir erweist, Graf», antwortete Newton. «Aber ich nehme nur sehr wenige Einladungen an.»
    «Der Graf versteht, dass Ihr ein viel beschäftigter Mann seid», sagte Doktor Love.
    «Absolut.»
    «Nichtsdestoweniger glaubt er, etwas zu besitzen, was für Euch von größtem wissenscha ftlichem Interesse sein könnte.»
    «Absolut.»
    Und Doktor Love entnahm einem viereckigen Samttüchlein eine Unze Gold, die er Newton präsentierte.
    «Vor meinen eigenen Augen», erklärte Doktor Love, «hat der Graf mittels einer von ihm selbst entdeckten Tinktur einen gemeinen Bleiklumpen in diesen Goldbarren verwandelt.»
    Newton inspizierte das Gold mit der Miene tiefer Ergriffenheit.
    «Ich brachte es sofort zu einem Goldschmied», fuhr Doktor Love fort, «der es für das reinste Gold erklärte, das er je gesehen hatte.»
    «Tatsächlich», sagte Newton, der das Gold in der Hand wog und nach wie vor tief beeindruckt schien.
    «Wer wäre geeigneter als Ihr, Doktor Newton, Münzwart der Königlichen Münzanstalt und Englands bedeutendster Wissenschaftler, dieses Gold einer Prüfung zu unterziehen? Und wenn Ihr von seiner Echtheit überzeugt wärt, so dachten wir, würdet Ihr vielleicht daran interessiert sein, das Transmutationsverfahren des Grafen mit eigenen Augen zu
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    verfolgen.»
    «Absolut», sagte Newton und als ein Zeitpunkt für diese Demonstration vereinbart war, ließen sich die beiden Alchemisten zum Gehen überreden und wir konnten endlich ins Haus gehen, wo mir Newton das Gold in die Hand gab.
    «Es sieht eindeutig aus wie echtes Gold und fühlt sich auch so an», sagte ich. «Ich glaube, ich würde gern eine echte Transmutation sehen. Wenn so etwas möglich ist.»
    «Jetzt haben wir erst mal anderes zu tun.» Und als er sein Mikroskop gefunden hatte, stellte er es auf den Tisch am Fenster und postierte einen Spiegel und eine Kerze daneben, um das Objekt zusätzlich zu beleuchten.
    «Seht nach, ob Ihr Mister Leeuwenhoeks Buch findet», befahl er mir, während er die Substanz, die er von Skeffingtons Tochter geschabt hatte, auf ein Glasplättchen gab. «Oder Hookes Micrographia.»
    Doch ich fand weder noch.
    «Macht nichts», sagte Newton, zog eine Nadel aus seinem Kragenaufschlag und stach sich in den Daumen, sodass ein kleiner rubinroter Blutstropfen hervorquoll. Er schmierte diesen auf ein anderes Glasplättchen, verglich beide unterm Mikroskop und lud mich dann ein, auch einmal durchzugucken.
    Nach und nach erkannte ich das schummrige, aber vergrößerte Bild von etwas, das, wie Newton versicherte, sein eigenes Blut war. Es zählte zum Erstaunlichsten, was ich je gesehen hatte.
    Das Blut aus Newtons Daumen wirkte fast schon lebendig.
    «Oh, Sir, es setzt sich aus Tausenden kleiner Objekte zusammen», sagte ich. «Aber nur einige davon sind rot. Und diese schwimmen in einer nahezu durchsichtigen Flüssigkeit. Es ist, als ob man an einem strahlenden Sommertag aus nächster Nähe in einen Teich guckt.»
    Newton nickte. «Diese winzigen Bestandteile nennt man Zellen.
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    Und man nimmt an, dass sie die letzten Bausteine aller lebenden Materie sind.»
    «Mir scheint es unmöglich, einen Menschen auf etwas so Kleines zu reduzieren. Aus solcher Nähe besehen, scheint das menschliche Leben irgendwie weniger wundersam. Als ob wir letztlich nicht mehr wären als das, was im Dorfteich herumschwimmt.»
    Newton lachte. «Etwas komplizierter sind wir wohl schon», sagte er. «Aber sagt, was haltet Ihr von der Probe, die wir Skeffingtons Tochter entnahmen?»
    «Es ist zweifellos von gleicher Art, Sir. Aber es bewegt sich nicht. Als ob das Leben, das den Teich beseelte, gewichen wäre.»
    «So ist es.»
    «Dann ist es also Blut», sagte ich. «Was werden wir jetzt tun?»
    «Tun? Oh, gar nichts. Ich werde noch ein wenig in Muße darüber nachdenken und sehen, wie es sich erklären lassen könnte. Bis dahin schiebt das Ganze beiseite, denn es besteht die Gefahr, dass diese Entdeckungen, wenn sie in Eurem Kopf

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