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Nexus

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Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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gewöhnlich Sirota oder Rosenblatt —, denn unsere Wirtin hatte entdeckt, daß ich für Synagogenmusik schwärmte. Manchmal klopfte sie an die Tür, um mir ein Stück selbstgemachter Pastete oder Strudel zu bringen. Dabei blieben ihre Blicke sehnsüchtig auf meinem Arbeitstisch haften, der immer mit Büchern und Papieren überhäuft war. Dann huschte sie wieder davon, anscheinend dankbar, daß sie einen Blick in die Höhle eines Schriftstellers hatte tun dürfen.
    Auf einem unserer abendlichen Spaziergänge kamen wir in ein Papiergeschäft, wo es auch Speiseeis und Sodawasser gab. Wir wollten dort Zigaretten kaufen. Es war ein altmodisches Geschäft, das von einer jüdischen Familie geführt wurde. Der Laden gefiel mir, gleich als ich eintrat. Er sah so verblichen aus und hatte dieselbe schläfrige Atmosphäre wie die kleinen Läden, die ich als kleiner Junge aufsuchte, um mir eine Schokoladenstange oder einen Beutel spanischer Erdnüsse zu holen. In einer dunklen Ecke des Ladens saß der Besitzer an einem Tisch und spielte mit seinem Freund Schach. Die Art, wie sie sich über das Brett beugten, erinnerte mich an berühmte Gemälde, besonders an Cezannes Kartenspieler. Der dicke Mann mit grauen Haaren und einer bis zu den Augen herabgezogenen großen Mütze neigte sich weiter über das Brett, während der Besitzer uns bediente.
    Wir bekamen unsere Zigaretten und bestellten dann ein Eis.
    «Ich will Sie aber nicht von Ihrem Spiel abhalten», sagte ich, als er uns bedient hatte. «Ich weiß, wie ärgerlich es ist, wenn man in einem Schachspiel unterbrochen wird.»
    «Spielen Sie Schach?»
    «Ja, aber nur kläglich. Ich habe manche Nacht damit verbracht.» Obschon ich ihn nicht abhalten wollte, machte ich doch einige Bemerkungen über den Schachklub in der Second Avenue, in dem ich einst verkehrte, über das Cafe Royal und so weiter.
    Der Mann mit der großen Mütze stand nun auf und trat zu uns. Aus der Art, wie er uns begrüßte, entnahm ich, daß er uns für Juden gehalten hatte. Das machte mir das Herz warm.
    «Sie spielen also auch Schach?» sagte er. «Das ist ja schön. Sie können ja mal mit uns spielen.»
    «Heute abend nicht», erklärte ich. «Wir wollen etwas Luft schnappen.»
    «Wohnen Sie hier in der Nähe?»
    «Gleich hier in der Straße.» Ich nannte ihm die Hausnummer.
    «Das ist ja Mrs. Skolskys Haus», sagte er. «Ich kenne sie gut. Ich habe in Myrtle Avenue, nicht weit von hier, einen Laden für Herrenanzüge. Da könnten Sie ja mal vorbeischauen.»
    Dann streckte er die Hand aus. «Essen ist mein Name. Sid Essen.» Er gab auch Mona die Hand.
    Wir stellten uns nun auch vor, und er gab uns noch einmal die Hand.
    Er schien sich merkwürdigerweise über die Begegnung sehr zu freuen. «Sie sind kein Jude?» fragte er.
    «Nein, aber man hält mich oft für einen.»
    «Aber Ihre Frau ist Jüdin, nicht wahr?» Er sah Mona auf merksam an.
    «Nein, sie ist zum Teil Zigeunerin, zum Teil Rumänin. Aus der Bukowina.»
    «Wunderbar!» rief er aus. «Abe, wo sind die Zigarren? Reich Mister Miller das Kistchen.» Er wandte sich dann Mona zu. «Wie wäre es mit einem Stückchen Kuchen für Frauchen?»
    «Vergessen Sie Ihr Schachspiel nicht», mahnte ich.
    «Ach was! Wir haben nur die Zeit totgeschlagen. Es macht mir Freude, mit einem Menschen Ihrer Art zu sprechen - und mit Ihrer reizenden Frau. Sie ist Schauspielerin?» Ich nickte.
    «Das habe ich auf den ersten Blick gesehen.»
    So begann die Unterhaltung. Wir müssen wohl über eine Stunde so weitergesprochen haben. Es bereitete ihm offenbar Kopfzerbrechen, warum ich für alles Jüdische so eingenommen war. Ich mußte ihm versprechen, ihn bald in seinem Laden zu besuchen. Wenn es mir Spaß mache, könnten wir dort auch Schach spielen. Leider sei der Laden fast immer leer. Er wisse selbst nicht, warum er diese Bude noch nicht zugemacht habe, er habe nur noch wenige Kunden. Als wir uns dann zum Abschied wieder die Hand gaben, sagte er, er hoffe, ich würde ihm die Ehre erweisen, auch seine Familie kennenzulernen. Wir seien ja fast Nachbarn.
    «Wir haben einen neuen Freund gewonnen», sagte ich, als wir wieder auf der Straße waren.
    «Ja, er ist ganz verschossen in dich.»
    «War er nicht wie ein Hund, der gern gestreichelt und getätschelt sein möchte?»
    «Zweifellos ein sehr einsamer Mensch.»
    «Sagte er nicht, er spiele Geige?»
    «Ja. Erinnerst du dich nicht, wie er uns erzählte, daß das Streichquartett einmal in der Woche in seiner Wohnung zusammenkomme

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