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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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und Ekel empfinden, annehmen und verwerfen, erfassen und verachten, sich sehnen und verschmähen, das ist die Krankheit des Geistes.»
    Salomon hätte es nicht besser ausdrücken können.
    «Wenn du weder an Sieg noch an Niederlage denkst», heißt es im Dhammapada , «schläfst du nachts furchtlos.»
    Wenn!
    Der Feigling — und ein solcher war ich - hört lieber das unablässige Schwirren und Stampfen des Geistes. Er weiß wie der schlaue Meister, dem er dient: die Maschine braucht nur einen Augenblick stillzustehen, und er wird wie ein erloschener Stern zerplatzen. Nicht Tod.. . absolute Vernichtung!
    Cervantes schildert den Fahrenden Ritter so: «Der Fahrende Ritter sucht alle Ecken der Welt ab, dringt in die gewundensten Labyrinthe ein, vollbringt bei jedem Schritt das Unmögliche, erduldet die brennenden Strahlen der Sonne in unbewohnten Wüsten, das stürmische und eisige Winterwetter. Löwen können ihn nicht erschrecken und Dämonen und Drachen ihn nicht entsetzen, denn Gefahren zu suchen und zu bestehen, das ist sein ganzer Lebensinhalt und sein wahres Amt.»
    Sonderbar, wieviel der Tor und der Feigling mit dem Fahrenden Ritter gemeinsam haben! Der Tor glaubt wider alle Vernunft, er glaubt angesichts des Unmöglichen. Der Feigling trotzt allen Gefahren, nimmt jedes Risiko auf sich, fürchtet nichts, absolut nichts, außer das zu verlieren, was er mit ohnmächtigen Anstrengungen behalten möchte.
    Man könnte versucht sein zu sagen, Liebe habe noch nie aus einem Menschen einen Feigling gemacht. Wahre Liebe vielleicht nicht. Aber wer von uns hat wahre Liebe kennengelernt? Wer liebt so, wer hat soviel Vertrauen und Glauben, daß er sich nicht lieber dem Teufel verkaufen möchte als das geliebte Wesen gequält, erschlagen oder entehrt zu sehen? Wer ist so sicher und mächtig, daß er nicht eher von seinem Thron stiege als seine Liebe fahren zu lassen? Es hat zwar große Gestalten gegeben, die sich ihrem Schicksal gebeugt haben, die sich still und einsam vor Kummer verzehrt haben. Sind sie zu bewundern oder zu bemitleiden? Selbst der größte aller Liebeskranken hat es nie fertiggebracht, jubelnd einherzugehen und zu rufen: «Ach, wie schön ist die Welt!»
    «In reiner Liebe (die es zweifellos nur in unserer Einbildung gibt)», sagt jemand, den ich bewundere, «ist sich der Liebende nicht bewußt, daß er gibt oder was er gibt, noch wem er gibt, noch weniger, ob seine Gabe von dem Empfänger geschätzt wird oder nicht.»
    Von ganzem Herzen sage ich dazu: «D'accord!» Aber ich habe noch keinen Menschen kennengelernt, der einer solchen Liebe fähig wäre. Vielleicht liegt eine solche Rolle nur denjenigen, die keiner Liebe mehr bedürfen.
    Frei von der Sklaverei der Liebe sein, verbrennen wie eine Kerze, in Liebe zerschmelzen, vor Liebe schmelzen - welch eine Wonne! Ist das möglich für Menschen wie wir, für schwache, stolze, eitle, besitzgierige, neidische, eifersüchtige, unnachgiebige, rachsüchtige Geschöpfe? Offenbar nicht. Wir drehen uns wie Mäuse auf dem Rad im luftleeren Raum des Geistes. Wir sind zum Untergang verdammt, zum ewigen Tod. Im Glauben, daß wir Liebe brauchen, hören wir auf, Liebe zu geben, Liebe zu sein.
    Aber selbst wir, so verächtlich schwach wir auch sein mögen, spüren gelegentlich etwas von dieser wahren, selbstlosen Liebe. Wer von uns hat in seiner blinden Anbetung eines unerreichbaren Wesens nicht schon gesagt: «Was macht es, wenn sie nicht die meine wird! Die Hauptsache ist, sie ist da, und ich kann sie für immer verehren und anbeten!» Und wenn eine so überschwengliche Stimmung auch nicht lange dauert, so steht doch der Liebende, der so denkt, auf festem Boden. Er hat einen Augenblick wahrer Liebe erfahren. Keine andere Liebe, wie beglückend, wie dauerhaft sie auch sein mag, kann sich mit ihr vergleichen.
    Wenn auch eine solche Liebe vergänglich ist, so kann man doch nicht sagen, daß wir etwas verloren haben. Der einzig mögliche Verlust - und wie gut weiß das jeder, der wirklich liebt - ist das Fehlen jener unvergänglichen Zuneigung, die uns der andere einflößt. Was für ein trüber Unglückstag, wenn der Liebende plötzlich merkt, daß er nicht mehr besessen, daß er sozusagen von seiner großen Liebe geheilt ist! Wenn er sie auch nur unbewußt für eine «Verrücktheit» hält. Das Gefühl der Erleichterung, das ein solches Erwachen zur Folge hat, kann uns in aller Aufrichtigkeit zu dem Glauben verleiten, wir hätten unsere Freiheit wiedergewonnen. Aber um

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