Nexus
Paket Lebensmittel oder Spirituosen mitbrachte oder einen Scheck auf dem Tisch liegenließ. Wenn sie sich in meiner Gegenwart unterhielten, machten Sie Anspielungen, die ich nicht verstand, oder tauschten Zettel aus, die sie vor meinen Augen schrieben. Oder sie schlössen sich in Stasias Zimmer ein und flüsterten dort sträflich lange miteinander. Selbst die Gedichte, die Stasia schrieb, wurden immer unverständlicher, wenigstens diejenigen, die sie mir zu zeigen geruhte. Rimbauds Einfluß, so beteuerte sie. Vielleicht war aber auch der ständig gurgelnde Ausguß daran schuld.
Es war eine Erleichterung, wenn gelegentlich Osiecki kam. Er hatte, nur ein paar Häuserblocks entfernt, einen netten Ausschank über dem Büro einer Bestattungsfirma entdeckt. Ich trank dort einige Glas Bier mit ihm, bis seine Augen glasig wurden und er anfing, sich zu jucken. Manchmal setzte ich es mir in den Kopf, nach Hoboken zu fahren, wo ich verlassen umherwandelte und mir einredete, es sei ein interessanter Ort. Weehawken war ein ebenso gottverlassenes Nest. Ich ging dort gewöhnlich in ein Vaudeville-Theater. Ich tat alles mögliche, nur um der nervenzerrüttenden Atmosphäre meiner Wohnung zu entgehen, dem unablässigen Singen von Liebesliedern - die beiden hatten begonnen, sie auf russisch, deutsch und jiddisch! zu singen - dem geheimnisvollen Getuschel in Stasias Zimmer, dem Lügen mit frecher Stirn, dem ewigen Gequatsche über Rauschgift und den Ringkämpfen ...
Ja, dann und wann führten sie mir zuliebe einen Ringkampf vor. Waren es Ringkämpfe? Schwer zu sagen. Manchmal, nur um etwas Abwechslung in die Monotonie zu bringen, lieh ich mir Pinsel und Farben aus und malte eine Karikatur von Stasia, immer an die Wand. Sie zahlte mir mit gleicher Münze heim. Eines Tages malte ich einen Totenschädel mit gekreuzten Knochen an ihre Tür. Am nächsten Tag sah ich ein Tranchiermesser über dem Schädel hängen.
Einmal zeigte sie mir einen Revolver mit Perlmuttergriff. «Nur für den Fall», erklärte sie.
Sie beschuldigten mich nun, ich dränge in Stasias Zimmer ein, um ihre Sachen zu durchschnüffeln.
Eines Abends, als ich einsam durch das polnische Viertel von Manhattan wanderte, geriet ich durch Zufall in einen Billardsalon, wo ich zu meiner Überraschung Curley und einen seiner Freunde beim Billardspiel antraf. Er war ein seltsamer Junge, dieser Freund, und erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassen. Begeisterungsfähig und phantasievoll. Sie wollten mich unbedingt zu einem kleinen Budenzauber heimbegleiten.
In der U-Bahn erzählte ich Curley ein Ohrvoll über Stasia. Er schien gar nicht überrascht und mit der Lage ganz vertraut zu sein.
«Es muß etwas geschehen», bemerkte er lakonisch.
Sein Freund schien derselben Meinung zu sein.
Sie waren baff, als ich das Licht andrehte.
«Sie muß verrückt sein», sagte Curley.
Sein Freund tat so, als machten ihm die Bilder angst. Er konnte die Augen nicht davon wegbringen.
«Ich habe so was schon mal gesehen», sagte er. Er meinte, im Kittchen.
«Wo schläft sie?» fragte Curley.
Ich zeigte ihnen ihr Zimmer. Es war in einem Zustand völliger Unordnung. Bücher, Handtücher, Schlupfhosen und Brotreste lagen verstreut auf dem Bett und auf dem Boden.
«Übergeschnappt, einfach übergeschnappt», sagte Curleys Freund.
Curley hatte mittlerweile mit dem «Aufräumen» begonnen. Er öffnete eine Schublade nach der anderen, zog den Inhalt heraus und schob dann alles wieder hinein.
«Wonach suchst du?» fragte ich.
Er sah mich an und grinste. «Man kann nie wissen», sagte er.
Er heftete die Augen auf den großen Koffer in der Ecke unter dem Waschbecken.
«Was ist da drin?»
Ich zuckte die Schultern.
«Das wollen wir doch mal feststellen», meinte er. Er machte die Schließhaken los, aber der Deckel saß fest, der Koffer war verschlossen. Er rief seinen Freund. «Hast du deinen Dietrich dabei? Mach dich an die Arbeit. Ich habe so eine Ahnung, wir werden da was Interessantes finden.»
Sein Freund brachte das Schloß im Augenblick auf. Mit einem Ruck warf er den Deckel zurück. Der erste Gegenstand, den unsere Augen erblickten, war ein kleines eisernes Kästchen, zweifellos ein Schmuckkästchen. Es ging nicht auf. Wieder setzte der Freund seinen Dietrich in Tätigkeit. Im Nu hatte er es aufgebracht.
Zwischen einem Haufen Liebesbriefe - von unbekannten Freunden — entdeckten wir das Briefchen, das scheinbar auf der Toilette zerrissen und weggespült worden war. Es war
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