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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Dann setzte er hinzu: «Und du hast nie etwas getan, es einzuladen.
    Also bis dann», sagte er und schlug die-Tür zu.
    «Bis dann», wiederholte ich.
    Und das war alles.
    Hätte er mich niedergeschlagen, hätte ich nicht platter sein können. Ich war bereit, mich auf der Stelle zu begraben. Das bißchen Schutzpanzer, das mir noch verblieben war, zerschmolz. Ich war nur noch ein Fettfleck, sonst nichts. Ein Schmutzfleck auf dem Gesicht der Erde.
    Als ich wieder in das düstere Zimmer kam, zündete ich automatisch eine Kerze an und pflanzte mich wie ein Schlafwandler vor meiner dramatischen Idee auf. Das Stück sollte drei Akte haben und hatte nur drei Personen. Ich brauche wohl nicht zu sagen, wer sie waren.
    Ich ging den Plan durch, den ich für die einzelnen Szenen, die Handlungshöhepunkte, den Hintergrund und wer weiß was noch entworfen hatte. Ich hatte ihn vollständig im Kopf. Aber diesmal war es, als wäre das Stück bereits fertig geschrieben. Ich sah, was mit dem Material anzufangen war (ich hörte sogar den Beifall, der auf das Fallen des Vorhangs folgte). Es war jetzt alles klar, so klar wie Pik-As. Nur mit der Niederschrift haperte es. Es konnte nie in Worten ausgedrückt werden. Es mußte mit Blut geschrieben werden.
    Immer wenn ich Boden unter die Füße bekommen hatte wie jetzt, sprach ich in einsilbigen Worten oder überhaupt nicht. Ich bewegte mich noch weniger. Ich konnte eine unglaubhaft lange Zeit auf einem Fleck in einer Stellung bleiben, ob ich nun saß, mich bückte oder stand.
    In diesem leblosen Zustand fanden sie mich, als sie heimkamen. Ich stand an der Wand, den Kopf an den Bogen Einwickelpapier gelehnt. Nur eine kleine Kerze flackerte tropfend auf dem Tisch. Als sie hereinstürmten, sahen sie mich zuerst nicht, weil ich direkt an die Wand geklebt war. Einige Minuten kramten sie schweigend im Zimmer herum. Plötzlich erspähte mich Stasia. Sie stieß einen Schrei aus.
    «Sieh mal her!» rief sie. «Was ist mit ihm los?»
    Nur meine Augen bewegten sich. Sonst hätte man mich für eine Statue halten können, noch schlimmer - für einen Leichnam in Totenstarre.
    Sie schüttelte mir den Arm, der schlaff herunterhing. Er zitterte und zuckte ein bißchen, aber es kam noch kein Laut aus mir heraus.
    «Komm her!» rief sie, und Mona kam im Galopp herbeigerannt. «Schaut ihn an!»
    Es war Zeit, mich zu rühren. Ohne mich vom Fleck zu bewegen oder meine Stellung zu ändern, hängte ich meine Kinnbacken aus und sagte - aber wie der Mann mit der eisernen Maske -: «Alles in Ordnung, liebe Kinder. Ängstigt euch nicht. Ich war ... ich war nur am Denken.»
    «Am Denken!» kreischten sie.
    «Ja, meine kleinen Cherubim - am Denken! Was ist daran so sonderbar?»
    «Setz dich!» bat Mona und zog schnell einen Stuhl herbei. Ich sank auf ihn nieder, als wäre er ein Tümpel warmen Wassers. Wie gut tat mir doch diese kleine Bewegung! Ich wollte es mir aber gar nicht wohl sein lassen. Ich wollte meine Depression genießen.
    Erfüllte mich deshalb eine so wunderbare Stille, weil ich wie an die Wand geklebt dagestanden hatte? Obgleich mein Geist noch tätig war, arbeitete er ebenfalls ruhig. Er lief nicht mehr mit mir davon. Langsam, zögernd kamen die Gedanken und gingen. Sie ließen mir Zeit, sie zu tätscheln und zu streicheln. Einen Augenblick vor der Ankunft der beiden hatte ich den Punkt erreicht, wo ich den letzten Akt des Stückes in voller Klarheit vor mir sah. Ich hatte begonnen, ihn niederzuschreiben, ohne daß es mich die geringste Anstrengung kostete.
    Als ich ihnen nun halb den Rücken zukehrte, auch in meinen Gedanken, begann ich wie ein Automat zu sprechen. Ich ging nicht auf das ein, was sie sagten, sondern sprach gleichsam nur meine Rolle. Wie ein Schauspieler in seiner Garderobe noch weiter agiert, obwohl der Vorhang bereits gefallen ist.
    Die beiden waren sonderbar ruhig geworden, wie ich spürte. Gewöhnlich beschäftigten sie sich mit ihrem Haar oder mit ihren Nägeln. Jetzt waren sie so still, daß meine Worte von den Wänden als Echo zurückkamen. Ich konnte gleichzeitig mit mir sprechen und mir zuhören. Köstlich. Eine angenehme Entrückung sozusagen.
    Ich spürte, der Zauber würde verschwinden, wenn ich nur einen Augenblick mit Sprechen aufhörte. Aber dieser Gedanke machte mich nicht bange. Ich würde weiter reden, sagte ich mir, bis ich fertig wäre. Oder bis «es» fertig wäre.
    So sprach ich durch den Schlitz in der Maske, immer in demselben gleichmäßigen, gemessenen, hohlen

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