Nexus
Ton. Wie jemand mit geschlossenem Mund spricht, wenn er ein unerhört gutes Buch zu Ende gelesen hat.
Durch Stanleys herzlose Worte in Asche verwandelt, war ich auf die Quelle selbst gestoßen, aus der die nötigen Worte hervorsprudeln. Ich war jetzt Autor, so könnte man sagen. Und wie verschieden war dieses ruhige Fließen aus der Quelle doch von dem knirschenden Schöpfungsakt, der Schreiben heißt. «Tauche tief und komme nie hoch!» sollte das Motto für alle sein, die danach hungert, in Worten schöpferisch zu sein. Denn nur in den stillen Tiefen ist es uns vergönnt, zu sehen und zu hören, vorwärtszuschreiten und zu sein. Was für eine Wonne, auf den Grund seines Wesens zu sinken und ihn nie mehr zu verlassen!
Als ich wieder zu mir kam, drehte ich mich langsam um wie ein großer fauler Dorsch und bannte sie mit meinen starren Augen. Ich fühlte mich wie ein Ungeheuer der Tiefe, das nie die Welt der Menschen, die Wärme der Sonne, den Duft der Blumen, die Stimmen von Vögeln, Vierfüßlern oder Menschen kennengelernt hat. Ich starrte sie mit großen verschleierten Augen an, die nur gelernt hatten, nach innen zu blicken. Wie seltsam, wie wunderlich war die Welt in diesem Augenblick! Mit unersättlichen Augen sah ich die beiden und das Zimmer, in dem sie saßen. Ich sah sie in ihrer unendlichen Dauerhaftigkeit, auch das Zimmer, als wäre es das einzige auf der ganzen weiten Welt. Ich sah, wie die Wände zurückwichen und die Stadt dahinter zu nichts zusammenschmolz. Ich erblickte gepflügte Felder, die sich bis an den Horizont erstreckten, Seen, Meere, Ozeane zerflossen in den Raum, der voll feuriger Kreise war, und in dem reinen, immer gleich starken, grenzenlosen Licht schwirrten vor meinen Augen strahlende Heere gottähnlicher Geschöpfe, Engel, Erzengel, Seraphim und Cherubim. Wie wenn plötzlich ein Nebel von einem starken Wind weggeblasen wird, war dies alles verschwunden. Ich kam zu mir bei dem gänzlich belanglosen Gedanken - daß Weihnachten bevorstand.
«Was wollen wir tun?» stöhnte ich.
«Nur weiterreden!» sagte Stasia. «So habe ich dich noch nie gesehen.»
«Weihnachten!» sagte ich. «Was sollen wir Weihnachten anfangen?»
«Weihnachten?» brüllte sie. Einen Augenblick dachte sie vielleicht, ich spräche symbolisch. Als sie merkte, daß ich jetzt ein anderer war und nicht mehr die Person, die sie bezaubert hatte, rief sie aus: «Jesus! Ich will kein Wort mehr hören.»
«Gut», sagte ich, als sie sich schmollend in ihr Zimmer zurückziehen wollte. «Jetzt können wir darüber sprechen.»
«Warte, Val, warte», rief Mona mit feuchten Augen. «Verdirb nicht alles, ich bitte dich.»
«Es ist vorüber», erwiderte ich, «vorüber und erledigt. Es ist nichts mehr zu sagen. Vorhang.»
«Aber es muß noch etwas dasein!» bettelte sie. Sie gab keine Ruhe. «Bleib sitzen, ich will dir etwas zu trinken holen.»
«Ja, hol mir was, aber auch etwas zu essen! Ich habe einen Wolfshunger. Wo ist diese Stasia? Los, laßt uns essen und trinken und uns die Zunge aus dem Mund reden. Weihnachten soll der Teufel holen und den Weihnachtsmann auch. Zur Abwechslung kann Stasia mal den Weihnachtsmann machen.»
Die beiden liefen jetzt hin und her, um mich bei guter Laune zu halten. Sie brannten geradezu darauf, auch meine kleinsten Wünsche zu befriedigen. Es war fast so, als sei ihnen der Prophet Elias vom Himmel erschienen.
«Ist noch was von dem Rheinwein da?» fragte ich. «Her damit!»
Ich hatte außerordentlichen Hunger und Durst. Ich konnte es kaum abwarten, bis sie mir etwas vorsetzten.
«Dieser verdammte Polacke!» murmelte ich.
«Was?» sagte Stasia.
«Wovon habe ich gesprochen? Es ist jetzt alles wie im Traum. Was dachte ich? Das wolltet ihr doch gern wissen, nicht wahr? . . . Wie wundervoll es sein würde, wenn ...»
«Wenn was?»
«Macht euch nichts draus. Ich werde es euch später erzählen. Macht schnell und setzt euch zu mir.»
Jetzt war ich elektrisiert. War ich ein Fisch? Eher ein elektrisch geladener Aal. Funkensprühend. Und ausgehungert. Vielleicht glitzerte und sprühte ich deshalb so. Ich hatte wieder einen Körper. Oh, wie wohl tat es, wieder im Fleisch zu sein! Wie gut, zu essen und zu trinken, zu atmen und zu schreien!
«Es ist sonderbar», begann ich, nachdem ich ein paar Brocken verschlungen hatte, «wie wenig wir selbst dann von unserem wahren Selbst enthüllen, wenn wir im schönsten Zuge sind. Ihr hättet wohl gern, daß ich dort fortfahre, wo ich aufgehört habe,
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