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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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soviel Schlaf wie möglich erhaschen. Der Wecker würde um halb zehn rasseln.
    Ich selbst konnte die ganze Nacht vor Ärger und Unruhe kaum ein Auge zutun.
    Pünktlich um halb zehn ging der Wecker los. Mir schien, er läutete an diesem Morgen besonders laut. Ich war sofort auf den Beinen. Die beiden lagen da wie tot. Ich stieß und stupste und zog, ich rannte von der einen zur anderen, ohrfeigte sie, zog ihnen die Decken weg, überschüttete sie mit Flüchen und drohte ihnen, ich würde sie mit dem Leibriemen verprügeln, wenn sie sich nicht rührten. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis ich sie auf den Beinen und halbwegs wach hatte, so daß sie mir nicht unter den Händen zusammenbrachen.
    «Geht unter die Brause!» brüllte ich. «Den Kaffee koche ich!»
    «Wie kannst du nur so grausam sein!» stöhnte Stasia.
    «Warum rufst du nicht an und sagst, wir kämen erst heute abend zum Essen?» sagte Mona.
    «Das kann ich nicht», schrie ich zurück, «und will es auch nicht. Sie erwarten uns heute mittag, Punkt eins, nicht heute abend.»
    «Sag ihnen, ich sei krank», bat Mona.
    «Fällt mir nicht ein. Du wirst dies mitmachen, und wenn du dabei umkommst, verstanden?»
    Beim Kaffee erzählten sie mir, was für Geschenke sie gekauft hatten. Eben wegen dieser Geschenke hätten sie einen Schwips bekommen. Wieso? Nun, sie hatten ja kein Geld, Geschenke zu kaufen, und mußten es erst auftreiben. Sie mußten mit einem sabbernden Tatterich herumziehen, der sich zu einem Dreitagebummel anschickte. Auf diese Weise bekamen sie ihren Mordsrausch. Sie wollten sich keinen ansaufen. Nein, sie hatten gehofft, ihn loszuwerden, sobald sie die Geschenke gekauft hatten, aber er war ein schlauer alter Fuchs und ließ sich nicht so leicht abspeisen. Sie könnten von Glück sagen, erklärten sie, daß sie überhaupt heimgefunden hatten.
    Eine gute Geschichte und wahrscheinlich zur Hälfte wahr. Ich spülte sie mit dem Kaffee hinunter.
    «Und nun», sagte ich, «was wird Stasia anziehen?»
    Sie sah mich so hilflos und verdutzt an, daß ich gerade sagen wollte: «Dann zieh an, was du willst, mir ist es Wurst.»
    «Für sie sorge ich schon», fiel da Mona ein. «Es wird schon recht werden. Aber laß uns ein paar Minuten in Ruhe.»
    «Okay», erwiderte ich. «Aber vergeßt nicht, Punkt eins müssen wir da sein.»
    Ich konnte nichts Besseres tun, als einen Spaziergang machen. Ich wußte, es würde mindestens eine Stunde dauern, Stasia in annehmbare Form zu bringen. Ich mußte auch unbedingt frische Luft schnappen.
    «Denkt dran, ihr habt nur eine Stunde zur Verfügung, nicht mehr. Wenn ihr dann nicht fertig seid, werden wir gehen, ob ihr angezogen seid oder nicht.»
    Draußen war es klar und frisch. Während der Nacht war etwas Schnee gefallen, gerade genug, um den Tag zu einem hellen, weißen Weihnachten zu machen. Die Straßen waren fast leer. Die Menschen, ob gute oder schlechte Christen, waren alle um den Tannenbaum versammelt, machten ihre Geschenkpäckchen auf, küßten und umarmten sich, kämpften mit den Nachwehen der Sauferei vom Abend vorher und taten so, als wäre einfach alles lieb und nett. («Gott sei Dank, das haben wir hinter uns gebracht!»)
    Ich bummelte zu den Docks, um mir die Ozeandampfer anzusehen, die Seite an Seite wie angekettete Hunde dalagen. Alles war hier still wie auf einem Friedhof. Der im Sonnenschein funkelnde Schnee hing an der Takelage wie Baumwollflöckchen. Die Szene hatte etwas Geisterhaftes.
    Von den Docks ging ich nach oben zum Ausländerviertel hin. Hier war es nicht nur geisterhaft, sondern gespenstisch. Selbst die Weihnachtsstimmung konnte diesen Schuppen und Hütten nicht das Aussehen menschlicher Wohnungen geben. Wer scherte sich auch drum? Die meisten, die hier wohnten, waren Heiden, schmutzige Araber, schlitzäugige Chinesen, Hindus, Mexikaner und Neger. Der Kerl, der auf mich zukam, war wahrscheinlich ein Araber. Er trug leichtes, aber grobes Kattunzeug, eine schäbige, schirmlpse Kappe und ein paar abgetragene Filzpantoffeln. «Allah sei gelobt!» murmele ich im Vorübergehen. Ein bißchen weiter stoße ich auf ein paar grölende Mexikaner, betrunken, zu betrunken, um gewalttätig zu werden, obschon eine Schar zerlumpter Kinder sie durch ihre Zurufe wütend machte. «Haut ihn! Schlagt ihm den Schädel ein!» Und jetzt stolperten aus einer Seitentür einer altmodischen Wirtschaft zwei Huren in den hellen Sonnenschein eines reinen weißen Wintertages, so zerlumpt und schmutzig, wie es sich nur

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