Nexus
lange Namensliste herunterzuleiern, Namen von Radiokommentatoren, Schlagersängern, Musicalstars, Nachbarn und Verwandten - Namen, die mit einer Flut von Katastrophen verknüpft waren, so daß sie entweder weinen, gurren, geifern, schnaufen oder schnüffeln mußte.
Sie macht sich sehr gut, unsere liebe Stasia, dachte ich mir. Benimmt sich auch bei Tisch ausgezeichnet. Aber wie lange?
Allmählich taten das reichliche Essen und der gute Mosel ihre Wirkung. Die beiden hatten wenig Schlaf gehabt. Mona führte bereits einen Kampf gegen die Gähnkrämpfe, die wie Wellen aufeinander folgten.
Der Alte merkte gleich, was los war, und fragte: «Ihr seid wohl spät zu Bett gegangen?»
«Nicht so sehr spät», sagte ich munter. «Wir legen uns ja nie vor Mitternacht schlafen.»
«Du schreibst wohl nachts», sagte meine Mutter.
Ich fuhr beinahe vom Stuhl hoch. Sie sprach gewöhnlich nur von meiner «Kritzelei», wenn sie mir damit einen Tadel verabreichen oder mir bedeuten wollte, daß sie nichts davon hielt.
«Ja», sagte ich, «das ist die beste Arbeitszeit. Es ist dann alles still, dann kann ich besser denken.»
«Und bei Tage?»
Ich wollte gerade sagen: «Arbeiten natürlich», da fiel mir Gott sei Dank noch rechtzeitig ein, daß ich alles nur komplizieren würde, wenn ich vorgab, ich hätte einen festen Arbeitsplatz. Darum sagte ich: «Gewöhnlich gehe ich zur Bibliothek... ich habe da allerlei nachzuschlagen.»
Jetzt kam Stasia an die Reihe. Was tat sie?
Zu meinem großen Erstaunen übernahm mein Vater die Beantwortung der Frage. «Sie ist Künstlerin, das sieht man doch auf den ersten Blick.»
«So?» sagte meine Mutter, als ob schon der Klang des Wortes sie erschreckte. «Bringt das was ein?»
Stasia lächelte nachsichtig. Die künstlerische Tätigkeit bringe keinen Gewinn... im Anfang wenigstens nicht, erklärte sie sehr liebenswürdig. Sie bekäme glücklicherweise von daheim ein bißchen Geld.
«Sie haben wohl ein Atelier?» schoß der Alte los.
«Ja», sagte sie. «Ich habe eine typische Dachbude - drüben im Village.»
Hier setzte zu meinem Bedauern Mona ein und begann wie üblich, alles breit auszumalen. Ich brachte sie mit Mühe zum Schweigen, weil der Alte, der den fetten Lügenbissen ohne weiteres schluckte, durchblicken ließ, er würde Stasia gern eines Tages in ihrem Atelier einen Besuch abstatten. Er sähe gern Künstlern bei der Arbeit zu, meinte er.
Ich lenkte die Unterhaltung bald auf Homer, Winslow, Bougereau, Rider und Sisley ab. (Seine Lieblingskünstler.) Als ich diese unvereinbaren Namen erwähnte, zog Stasia die Augenbrauen hoch. Sie blickte noch erstaunter drein, als der Alte eine Namensliste berühmter amerikanischer Maler hersagte, deren Werke, wie er erklärte, lange in seiner Schneiderwerkstätte gehangen hätten. (Nämlich ehe sein Vorgänger alles verkaufte.) Da wir nun einmal mitten in diesem Gespräch waren, erinnerte ich ihn Stasias wegen an Ruskin ... an The Stones of Venice , das einzige Buch, das er je gelesen hatte. Dann ging ich auf P. T. Barnum, Jenny Lind und andere Berühmtheiten seiner Zeit über.
In einer Gesprächspause machte Lorette uns darauf aufmerksam, daß es um halb vier im Radio eine Operette geben würde ... ob wir sie hören wollten?
Aber es war jetzt Zeit für den Plumpudding - mit dieser köstlichen Sauce — und Lorette vergaß für den Augenblick die Operette.
Als ich «halb vier» hörte, kam mir zum Bewußtsein, daß wir noch eine lange Sitzung vor uns hatten. Ich war gespannt, wie wir es nur fertigbringen würden, die Unterhaltung bis zum Abend in Gang zu halten. Und wann würden wir uns wohl verabschieden können, ohne daß es wie ein hastiger Aufbruch aussah? Ich spürte schon ein nervöses Jucken auf der Kopfhaut.
Während ich mich mit solchen Gedanken herumschlug, mehrten sich bei Mona und Stasia die Anzeichen der Ermüdung. Es war offenbar, daß sie kaum mehr die Augen offenhalten konnten. Welches Thema konnte ich wohl anschlagen, das sie genügend interessierte, ohne sie gleichzeitig zu unbesonnenen Ausfällen zu veranlassen? Etwas Unbedeutendes mußte es sein, aber nicht zu unbedeutend. (Wacht auf, ihr Luder!) Vielleicht etwas über die alten Ägypter? Warum gerade siel Wenn es um mein Leben gegangen wäre, mir fiel einfach nichts Besseres ein. Versuchen wir's!
Plötzlich merkte ich, daß alle verstummt waren. Selbst Lorette babbelte nicht mehr. Wie lange hatte das schon gedauert? Denk schnell! Irgend etwas, was diese tödliche Stille
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