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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Hand.»
    «Ist es noch weit?» fragt sie und hinkt wieder.
    «Nur noch ein kleines Stück. Du darfst jetzt nicht schlappmachen.»
    So marschieren wir drei in einer Reihe durch die Street of Early Sorrows . Ein ulkiges Trio, würde Ulric sagen. Ich kann die Stielaugen der Nachbarn fühlen, die hinter ihren steifgestärkten Gardinen nach uns Ausschau halten. Millers Sohn. Das muß seine Frau sein.
    «Welche?»
    Mein Vater steht schon zur Begrüßung draußen vor der Tür. «Ein bißchen spät, wie üblich», sagt er, aber in freundlichem Ton.
    «Ja. Wie geht's? Fröhliche Weihnachten!» Ich lehne mich vor, um ihn auf die Wange zu küssen, wie ich es gewöhnt war.
    Ich stelle Stasia als alte Freundin Monas vor. «Ich konnte sie nicht allein lassen», erkläre ich.
    Er begrüßt Stasia freundlich und führt uns ins Haus. Auf der Diele steht meine Schwester mit bereits feuchten Augen.
    «Frohe Weihnachten, Lorette! Lorette, das ist Stasia.»
    Lorette gibt Stasia einen herzlichen Kuß. «Mona!» ruft sie dann. «Und wie geht es dir? Wir dachten schon, ihr kämt nicht.»
    «Wo ist Mutter?» frage ich.
    «Inder Küche.»
    Da erscheint Sie schon mit ihrem traurig ernsten Lächeln. Es ist kristallklar, welcher Gedanke ihr durch den Kopf zieht. «Genau wie immer. Immer zu spät kommen. Immer etwas Unerwartetes.»
    Sie umarmt uns nacheinander. «Jetzt nehmt Platz. Der Truthahn ist fertig.» Dann fragt sie mit dem spöttischen, boshaften Lächeln, das sie bei manchen Gelegenheiten aufsetzt:
    «Gefrühstückt habt ihr wohl schon?»
    «Natürlich, Mutter, schon früh am Morgen.»
    Sie sieht mich mit einem Blick an, der besagt: «Ich weiß, daß du lügst», und damit dreht sie sich auf dem Absatz um.
    Mona teilt inzwischen die Geschenke aus.
    «Das wäre doch nicht nötig gewesen», sagt Lorette. Diese Redewendung hatte sie von meiner Mutter angenommen. «Der Truthahn wiegt vierzehn Pfund», fährt sie dann fort. Dann zu mir: «Ich soll dir einen schönen Gruß vom Pfarrer bestellen, Henry.»
    Ich werfe schnell einen Blick auf Stasia, um zu sehen, wie der Empfang auf sie wirkt. Ihr Gesicht zeigt nur eine schwache Spur eines gutmütigen Lächelns. Sie scheint aufrichtig gerührt zu sein.
    «Wollt ihr nicht zuerst ein Glas Portwein trinken?» fragt mein Vater. Er schenkt drei Gläser ein und überreicht sie uns.
    «Und wie ist's mit Ihnen?» sagt Stasia.
    «Ich habe es schon lange aufgegeben», erwidert er. Dann hebt er ein leeres Glas hoch und sagt: «Prosit!»
    So begann dieses Weihnachtsmahl.
    Fröhliche Weihnachten, alle miteinander , Pferde, Maulesel, Türken, Alkoholiker, Taubstumme, Blinde und Krüppel, Heiden und Konvertiten! Fröhliche Weihnachten! Hosianna in der Höhe! Hosianna dem Höchsten! Friede auf Erden - möget ihr Unzucht treiben und einander abschlachten, bis das Himmelreich sich naht.
    (Diesen Trinkspruch behielt ich für mich.)
    Wie gewöhnlich verschluckte ich mich gleich an meinem Speichel. Ein Überbleibsel aus meinen Kindheitstagen. Meine Mutter saß mir wie immer gegenüber, mit dem Tranchiermesser in der Hand. Zu meiner Rechten saß mein Vater, den ich nur von der Seite anzublicken wagte, denn ich hatte immer Angst, er könnte in seiner Trunkenheit bei einer der sarkastischen Bemerkungen meiner Mutter explodieren. Er trank allerdings seit vielen Jahren nichts mehr, doch ich verschluckte mich, ohne daß ich einen Bissen im Munde hatte. Alles, was gesprochen wurde, war schon genau auf die gleiche Weise und in demselben Ton tausendmal gesagt worden. Auch meine eigenen Bemerkungen waren dieselben wie immer. Ich sprach, als wäre ich zwölf Jahre alt und hätte gerade gelernt, den Katechismus auswendig aufzusagen. Ich erwähnte natürlich nicht mehr, wie ich es als Junge getan hatte, solche haarsträubende Namen wie Jack London, Balzac oder Eugene V. Debs. Ich war jetzt etwas nervös, denn ich kannte zwar alle Tabus, Mona und Stasia aber kannten sie nicht. Sie waren noch «Freigeister», und wer weiß, sie konnten sich vielleicht als solche benehmen. Wer konnte sagen, in welchem Augenblick Stasia einen ausländischen Namen auftischen würde - wie Kandinsky, Marc Chagall, Zadkine, Brancusi oder Lipschitz? Noch schlimmer, wenn sie etwa Namen nannte wie Ramakrischna, Swami Vivekananda oder Gautama Buddha. Ich flehte aus tiefster Seele, daß sie, selbst im Schwips, nicht Namen aussprechen möchte wie Emma Goldman, Alexander Berkman oder Fürst Kropotkin.
    Glücklicherweise war meine Schwester gerade dabei, eine

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