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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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ihrigen. Was für ein Bild muß das gewesen sein!
    Welche Besorgnis I Hatten sie Angst, ich würde mir eine Kugel in den Kopf jagen? Wieder und wieder betonten sie, alles werde sich zum besten wenden. Geduld, Geduld! Am Ende würde alles gut ausgehen. Daran sei gar nicht zu zweifeln, sagten sie. Warum nicht? Weil ich ein so guter Mensch sei. Gott erlege mir nur eine Prüfung auf.
    Die eine sagte: «Oft hatten wir schon das Verlangen, herunterzukommen, um Sie zu trösten, aber wir wagten es nicht, bei Ihnen einzudringen. Wir wußten, wie Ihnen zumute war. Wir hörten Sie auf und ab gehen, auf und ab. Es war herzzerreißend, aber was konnten wir tun?»
    Ein solches Mitleid und eine solche Sympathie wurden mir auf einmal zuviel. Ich stand auf und zündete mir eine Zigarette an. Die Schlampige sagte, sie würde gleich wieder da sein, und lief nach oben.
    «Sie holt nur was», sagte die andere und begann, mir von dem Leben in Holland zu erzählen. Ihre Worte oder die Ausdrücke, die sie wählte, brachten mich zum Lachen. Sie klatschte vor Freude in die Hände. «Sehen Sie, es ist wirklich nicht so schlimm, nicht wahr? Sie können noch lachen.»
    Da lachte ich noch lauter. Es ließ sich schwer unterscheiden, ob ich lachte oder weinte. Ich konnte nicht mehr aufhören.
    «Aber, aber», sagte sie und drückte mich girrend an sich. «Legen Sie den Kopf auf meine Schulter. So! Ach, was für ein zärtliches Herz Sie doch haben!»
    So lächerlich es war, es tat mir gut, mich an ihre Schulter zu lehnen. Ich fühlte sogar, eingeschlossen in ihre mütterliche Umarmung, einen leichten sexuellen Kitzel.
    Da erschien die Schwester wieder, sie trug ein Tablett mit einer Karaffe, drei Gläsern und etwas Gebäck.
    «Nach einem Schlückchen werden Sie sich besser fühlen», sagte sie und schenkte mir einen Schnaps ein.
    Wir stießen an, als feierten wir ein glückliches Ereignis. Wir tranken. Es war reines Feuerwasser.
    «Noch ein Gläschen», sagte die andere und füllte die Gläser wieder. «Da! Tut Ihnen das nicht gut? Es brennt ein bißchen, wie? Aber es gibt Ihnen Mut!»
    Wir tranken noch zwei oder drei Gläschen in schneller Folge. Jedesmal fragten sie: «Fühlen Sie sich jetzt nicht besser?»
    Ich konnte nicht sagen, ob besser oder schlechter. Ich wußte nur, daß meine Eingeweide brannten. Und dann begann sich das Zimmer zu drehen.
    «Legen Sie sich hin», drängten sie, ergriffen mich bei den Armen und legten mich aufs Bett. Ich streckte mich lang aus, hilflos wie ein Säugling. Sie zogen mir Jacke und Hose aus, dann das Hemd und schließlich die Unterhose und die Schuhe. Ich protestierte nicht. Sie rollten mich auf die andere Seite und deckten mich bis an den Hals zu.
    «Jetzt schlafen Sie ein bißchen», sagten sie. «Wir sehen später wieder nach. Wenn Sie aufwachen, steht das Essen bereit.»
    Ich schloß die Augen. Das Zimmer drehte sich jetzt noch schneller.
    «Wir kommen bald wieder», sagte die eine.
    «Wir werden schon für Sie sorgen», sagte die andere.
    Auf Zehenspitzen schlichen sie hinaus.
    Ich erwachte erst in den frühen Morgenstunden. Ich dachte, die Kirchenglocken läuteten (genau wie meine Mutter sagte, wenn sie versuchte, sich an die Stunde meiner Geburt zu erinnern). Ich stand auf und las den Zettel noch einmal durch. Sie waren jetzt wohl schon weit auf dem offenen Meer. Ich hatte Hunger. Ich fand ein Stück von dem Käsekuchen auf dem Boden und verschlang es. Ich hatte sogar noch mehr Durst als Hunger. Ich trank mehrere Gläser Wasser hintereinander. Ich hatte leichte Kopfschmerzen. Dann kroch ich wieder ins Bett. Aber ich konnte nicht mehr einschlafen. Bei Tagesanbruch stand ich auf, zog mich an und ging aus dem Hause. Besser einen Spaziergang machen, bis ich umfalle, dachte ich.
    Es ging nicht so, wie ich gemeint hatte. Ob ich frisch oder müde war, ich grübelte weiter. Man geht in Gedanken im Kreise herum, immer auf demselben Boden, und immer kehrt man zu dem toten Punkt zurück - dem unannehmbaren Jetzt.
    Wie ich den Rest des Tages verbrachte, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur, daß das Herzweh immer schlimmer wurde. Nichts konnte diesen Schmerz stillen. Der Schmerz war nicht etwa in mir, ich war der Schmerz. Ein gehendes, redendes Weh. Wenn ich mich auch nur ins Schlachthaus schleppen und mich fällen lassen könnte wie ein Ochse - es wäre ein Akt der Barmherzigkeit gewesen. Nur ein schneller Schlag - zwischen die Augen. Das allein konnte den Schmerz stillen.
    Am Montagmorgen begab ich mich

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