Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
anschloß. Aber was immer es auch gewesen sein mochte, er würde sie hier herausholen. Vor einer Stunde war sie durch das nördliche Tor gegangen, um im Wald Krä u ter zu sammeln. Man hatte ihr keine Bewachung mitgegeben, so als vertrauten die anderen Priesterinnen ihr, daß sie zurüc k kommen würde. Volker hatte sich auch nach Sklaven umges e hen, doch schien es, als seien die Bewohner, die man aus M a rans entführt hatte, nicht als Sklaven, sondern als Diener und Knechte unter dem Nachtvolk aufgenommen worden. Sie wu r den gut behandelt und erhielten reichlich zu essen.
Der Spielmann hatte mit einem der entführten Männer reden können. Das Gespräch hatte ergeben, daß die Entführten es als Ehre betrachteten, den Feen zu dienen. Auch hatte der junge Mann deutlich durchblicken lassen, daß es ihm hier besser ging als in der Leibeigenschaft eines normannischen Adligen. Sie dazu zu bewegen, sich gegen ihre neuen Herren aufzulehnen, war vollkommen aussichtslos.
Volker verließ seinen Platz auf der Mauer und ging zum Tor der Festung hinab. Es war jetzt genug Zeit verstrichen, seit Gunbrid in den Wald gegangen war. Niemand würde argwö h nen, daß er unterwegs war, um sie zu suchen, wenn er jetzt die Stadt verließ. Sollten die dummen Sumpfbauern hier glücklich werden! Bei Gunbrid standen die Dinge anders. Sie war eine Adlige, die Nichte des Königs Gunther . Sie würde bei Hofe a l len nur erdenklichen Luxus genießen können. Gunbrid hier herauszuholen wäre eine edle und ritterliche Tat. Sicherlich hatte sie schon jede Hoffnung auf Rettung fahren lassen.
Der Spielmann war schon eine ganze Weile durch den Wald gestreift, als er schließlich das helle Kleid der Priesterin durch die Bäume schimmern sah. Gunbrid saß inmitten einer Lic h tung auf einem Felsblock. Vor ihr lagen Kräuter ausgebreitet, die sie mit bunten Wollfäden zu kleinen Büscheln zusamme n schnürte.
Der Spielmann hatte die Lichtung kaum betreten, als Gunbrid von ihrer Arbeit aufsah und ihn anlächelte. »Ich habe mich schon gefragt, wie lange es noch dauern würde, bis Ihr kommt, Volker von Alzey.«
»Ihr wußtet, daß ich komme?« Der Recke blieb verdutzt st e hen. Dann lachte er. »Ihr habt mich vortrefflich getäuscht, Frau Gunbrid.«
»Es gehört schon mehr dazu, als sich mit blauen Linien zu bemalen und sich das Haar zu zerzausen, um die Schönheit jenes Mannes zu verbergen, in den wohl die Hälfte aller jungen Mädchen am Hof meines Onkels verliebt war. Ich habe Euch schon bei der Zeremonie der heiligen Hochzeit erkannt, Herr Volker, obwohl ich gestehen muß, daß ich zunächst meinen Augen nicht trauen mochte. Erst als Ihr ein Lied zum Klang der Laute gesungen habt, war ich mir ganz sicher, daß wirklich Ihr es wart.«
»Eure Worte schmeicheln mir, edle Dame, bin ich doch nur ein einfacher Rittersmann, wohingegen Ihr von königlichem Geblüt seid.«
Das Lächeln auf Gunbrids Antlitz erstarb. »Es ist nicht das Blut, das einen Menschen ausmacht. Allein seine Taten sind das Maß, nach dem man urteilen soll. Freilich sollte man dort auch noch nach dem Hörensagen und dem selbst Erlebten unte r scheiden. Würde ich mich nach dem Ruf richten, den Ihr g e nießt, Herr Volker, dann wäre es meiner Reputation wohl kaum zuträglich, mich mit Euch allein auf einer einsamen Waldlic h tung zu treffen.«
Der Spielmann räusperte sich verlegen. »Nun, wie Ihr schon sagt, die Leute reden viel … Doch werde ich allen Gerüchten energisch entgegentreten, die besagen mögen, daß ich mich Euch auf unserer Reise zurück nach Worms in unziemlicher Weise genähert haben könnte. Es ist mir nichts mehr als Euer Wohlergehen am Herze gelegen und … «
»Wenn Ihr die Wahrheit sprecht, Herr Volker, dann vergeßt Eure Reisepläne.«
»Was?« Der Ritter war inzwischen an Gunbrids Seite getreten und starrte die Edeldame verständnislos an. »Wie meint Ihr das?«
»Ich möchte diesen Ort nicht verlassen. Sicher hat man mich gegen meinen Willen hierher gebracht. In jener Nacht, als mein Gatte, Baron Rollo, getötet wurde, verfluchte ich die Feen und hätte sie alle getötet, hätte Gott mir die Macht dazu verliehen. Mit der Zeit jedoch lernte ich verstehen. Ihr müßt wissen, Herr Volker, daß Rollo ein grausamer Mann war und nicht Liebe uns zusammenführte, sondern der Wille meines Onkels Gunther , der nach einem festeren Bund mit den Normannen Aquitaniens suchte. So wurde ich zum Pfand seiner Politik. Auch Rollo hat mich nicht wirklich begehrt. Er
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