Nibelungen 07 - Das Zauberband
ihr Kopf sich schwer an seine Schulter lehnte. Plötzlich überfiel ihn wieder, wie schon einmal auf den Klippen, das Gefühl, daß diese Frau eigentlich ein zartes, filigranes Geschöpf war, daß keinem Menschen ein Leid zufügen konnte. Jetzt, geschunden und geschlagen, wirkte sie eher wie ein unschuldiges Opfer, das einem Ungeheuer begegnet war, als eine tyrannische Zerstörerin.
Der Hengst trottete vor sich hin, und Raban fragte sich, wohin er nun mit Inmee reiten sollte. Die Frau war zu verletzt, als daß er sie hätte fragen können.
Ein leises Knurren im Unterholz ließ ihn aufhorchen. Bortino tänzelte nervös auf der Stelle. Raban schaute sich suchend um, dann blickte er in die gelben Augen der Wölfin.
»Ich hatte Inmee gewarnt«, sagte eine Stimme in Rabans Kopf. »Ich hatte sie davor gewarnt, mit Brunhild zu kämpfen. Der Zeitpunkt war nicht der rechte. Sie ist ebenso eine unfähige Priesterin wie die anderen auch. Wenn es um ihr Herz geht, egal, ob es Liebe oder Haß ist, ist auf Menschenfrauen kein Verlaß!«
Raban fühlte, wie sein Atem ein wenig rascher ging. Er sah die feuchtschimmernden Lefzen des Tieres unruhig zucken.
»Ihr meint, Brunhild hat Inmee so verletzt?« fragte Raban vorsichtig.
»Wundert Euch das?«
»Ja!«
»Dann habt Ihr noch niemals Frauen miteinander kämpfen sehen?«
Raban dachte nach. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Nicht so!« Er erinnerte sich an die Frauen, die gelegentlich ins Haus seines Vaters gekommen waren. Sie hatten gewiß nicht auf diese Weise mit Antana gekämpft, um Pyros für sich zu gewinnen. Es hatte vielleicht einige magische Duelle gegeben, aber die waren nicht blutig verlaufen. Und in Worms waren die Damen nicht einmal gewillt, etwas anderes als ein Spitzentüchlein in die Hand zu nehmen.
»Brunhild ist eine Kriegerin! Sie hat das Kämpfen gelernt«, sagte die Stimme in seinem Kopf.
»Das sind keine Schwertwunden, Brunhild war, als ich sie verließ, nicht bewaffnet!«
»Wie Ihr seht, Raban, ist das belanglos. Mit einem gewöhnlichen Schwert hätte sie auch kaum etwas gegen Inmee ausrichten können!« Die gelben Augen der Wölfin weiteten sich. »Ihr habt sie unterschätzt!«
»Vielleicht«, erwiderte Raban nachdenklich.
»Ihr habt lange gezögert, zu mir zu kommen, Magier, obwohl Ihr wußtet, daß ich alleine Eure Wünsche erfüllen und Euch den Weg zu dem unterirdischen Schloß Eurer Väter weisen kann.«
Raban fühlte eine seltsame Kälte, die in ihm hochstieg, die Wölfin leckte sich kurz über das Fell.
»Ja«, sagte er. »Ich hatte meine Gründe!«
Ein seltsam anmutiges Lachen erklang in seinem Kopf. »Ihr seid also auch nicht frei von Euren Gefühlen? Ihr seid genauso schwach wie Inmee! Euch reizt zwar das Wissen und die Macht genau wie sie, doch im Herzen tragt Ihr immer noch diese kleine Schwertmaid mit Euch herum! Aber diese kleine Kriegerin wird Euch ebenso besiegen können, wie sie es mit Inmee gekonnt hätte. Wenn sie erst wirklich dem Tod begegnet sein wird, dann wird sie eine reizvolle Gegnerin sein! Sie ist mutig, klug und sehr tapfer!« Die Stimme in seinem Kopf hielt einen Augenblick lang inne. »Und dafür liebt Ihr sie, nicht wahr?!«
Raban zögerte einen Augenblick. »Nein!« sagte er schließlich. »Nein! Das ist vorbei! Ich habe mich entschieden!«
Die Wölfin betrachtete ihn wieder, und Raban fühlte, daß sie tief in ihn einzudringen versuchte. Er gab sich Mühe, nicht zu viel von seinen geheimsten Gedanken preiszugeben. Schließlich ließ das Tier von ihm ab.
»Schön!« sagte die Stimme in seinem Kopf. »Die Zeit wird Euren Worten Rechnung tragen!« Der Dämon wandte sich um. »Folgt mir, Magier! Wir haben nicht mehr viel Zeit!«
Raban nickte und gab dem immer noch nervösen Pferd die Zügel frei. Bortino fiel in einen sanften Galopp. Stöhnend vor Schmerzen faßte Inmee ihn fester um seine Taille und klammerte sich wieder an ihn. Raban hatte für den Hauch eines Augenblicks das Gefühl, daß er gerade seine Freiheit verloren hatte. Doch dann hob er siegesgewiß den Kopf. Die Macht und das Wissen, dachte er, haben eben ihren Preis.
Antana ging langsam ein paar Schritte am Ufer des Sees entlang und schaute sich um. Pyros, ihr Kater, war nirgends zu finden. Gleich nachdem sie gemeinsam mit der ohnmächtigen Mirka und dem Krieger den versteinerten Garten betreten hatten, war er von der Stute hinabgesprungen und verschwunden. Seither hatte sie ihn nicht gesehen. Sie gab es auf, nach ihm zu suchen.
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