Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
sinnlose Bauwerke steckte? Und tun wir wirklich gut daran, ihnen nachzueifern?«
Der Frankenfürst lachte. »Es ist gut, einen Mann an seiner Se i te zu haben, der den Blick für das Wesentliche behält. Ein Aquädukt zu bauen ist sicherlich nicht unsere wichtigste Au f gabe. Ich denke, die Römer taten es, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren. So wie Cäsar eine breite Brücke über den Rhein bauen ließ, um sie nur ein einziges Mal zu benutzen und dann wieder einreißen zu lassen. Er wollte damit unseren Urahnen zeigen, daß er zu jeder Zeit und an jeder beliebigen Stelle den Strom überqueren konnte. Es war eine Machtdemonstration! So ist es auch mit dem Aquädukt. Doch nun laßt uns weiterreiten. Ich will euch meine Truppen zeigen und wie geschickt meine Reiter im Kampf sind. Sie werden zur Mittagsstunde eine ganz besondere Art von Turnier zu euren Ehren abhalten.«
Unter dem Vorwand, er müsse sich erleichtern, hatte Golo das abendliche Gelage im Palast des Frankenfürsten verlassen. Das Essen, das aufgetragen wurde, war köstlich. Gebratenes Fleisch vom Rind gab es und frisch gebackenes Brot. Dazu wurde Obst gereicht, das aus den Hainen nördlich der Stadt stammte. Doch obwohl Golo für gewöhnlich gutes Essen sehr zu schätzen wu ß te, mochte ihm an diesem Abend kein Bissen munden. Ricchar machte ihm Angst. Volker schien ganz in den Bann dieses u n gewöhnlichen Mannes geschlagen zu sein. Und wenn Golo eh r lich war, mußte selbst er sich eingestehen, daß es ihm nicht leicht gefallen war, das Angebot des Franken abzulehnen. Eine Reitereinheit kommandieren … Damit würde er, der Sohn eines unfreien Bauern, in den Adelsstand aufsteigen. Golo pfiff leise durch die Zähne und streckte sich.
Er war zur Säulenhalle an der Vorderfront des Praetoriums geschlendert und blickte über den weiten Platz, auf dem Ri c char sie gestern empfangen hatte. Die Reiterspiele, denen sie am Mittag beigewohnt hatten, waren sehr eindrucksvoll gew e sen. Mehr als hundert Krieger hatten daran teilgenommen. Sie alle trugen Prunkrüstungen mit eisernen Masken. Der Graf ha t te sie in zwei gleich große Reiterhaufen eingeteilt, die in Form a tionen gegeneinander anritten, um ihre Fähigkeiten im Kampf mit Schwert und Lanze zu zeigen. Es war nicht das Waffeng e schick der einzelnen Reiter, das den jungen Ritter beeindruckt hatte, sondern die Art und Weise, wie die fränkischen Reiter zusammen kämpften. Sie rückten in geschlossenen Formati o nen an oder bildeten mit ihren großen Rundschilden dichte Wälle, hinter denen sie vor den Wurfspeeren der anderen Re i tergruppe Deckung fanden. Auf Hornsignale und die knappen Befehle ihrer Anführer waren sie binnen weniger Augenblicke in der Lage, die Formation zu ändern und von der Verteid i gung zum Angriff überzugehen. Ja, sie schafften es sogar, die Pferde bei der Attacke in einer geschlossenen Front zu halten. So etwas hatte Golo noch niemals bei einem Reiterangriff ges e hen. Wenn die burgundischen Ritter attackierten, dann löste sich ihre Formation während des wilden Galopps stets auf. Ob Ricchar tatsächlich Hunderte solcher Reiter aufzubieten ve r mochte?
Golo blickte zum rotglühenden Abendhimmel. Ein Köni g reich, so groß wie das Reich der Römer zu errichten … Was für ein Plan! Dazu würden ein paar Reiter nicht ausreichen. Obe n drein hatte noch niemand Ricchars Maskenritter in der Schlacht erlebt. An den Gefechten im letzten Sommer hatten sie nicht teilgenommen. Man hätte in Worms über sie erzählt, wäre auch nur einer dieser ungewöhnlichen Krieger gesehen worden.
Der junge Ritter zuckte mit den Schultern und wollte zum Festgelage zurückkehren, als er hinter sich einen Schatten zw i schen den Säulen verschwinden sah. Die Hand am Dolch lief Golo den Gang hinauf. »Wer dort?«
Die schattenhafte Gestalt hielt sich dicht bei der Mauer und flüchtete in Richtung der Pferdeställe, die unweit des Palastes am Ende des großen Platzes lagen. Wer auch immer ihm g e folgt war, schien ungewöhnlich kleinwüchsig. Vielleicht sogar ein Zwerg.
Golo hatte die Gestalt fast eingeholt, als ein weiterer Schatten zwischen den Säulen erschien und sich ihm in den Weg stellte. Es war der Diener, der ihn und Volker in der letzten Nacht zu ihren Kammern geleitet hatte. Der junge Ritter rannte den Mann fast über den Haufen.
»Laß sie! Ich habe ihr befohlen, dir zu folgen!«
»Was treibt ihr hier für ein Spiel?« keuchte Golo wütend. Noch immer ruhte seine Hand auf dem
Weitere Kostenlose Bücher