Nicholas Dane (German Edition)
Kein Gemecker, kein Bitten und Betteln, keine Liebe.
Er fuhrwerkte durchs ganze Haus, suchte, suchte, suchte. Er wollte eine Million Pfund finden, eine Geheimtür, einen Ring, der ihm drei Wünsche gewährte, einen Zauber, einen Traum, der wahr wurde. Er wollte einen Ausweg aus dem Albtraum finden, der von ihm Besitz ergriff. Er rannte von Raum zu Raum, von seinem Zimmer zu Muriels, zum Wohnzimmer und zurück und wieder von vorn, alles war so ordentlich und durcheinander, so vertraut und so ungewohnt. Er suchte überall, aber es gab hier nichts zu finden.
Endlich blieb er kochend vor Zorn mitten im Zimmer seiner Mutter stehen. Wieso? Was sollte das? Wütend trat er zu, so kräftig er konnte, direkt gegen die Schranktür. Krachend zersplitterte das Holz. Na und? Es gab niemanden, den das interessiert hätte.
Er blieb stehen und starrte auf die Holzsplitter.
»Tut mir leid, Mum«, sagte er. Konnte sie ihn hören? Beobachtete sie ihn immer noch – sah sie ihn, hörte sie ihn, ohne zu ihm durchzudringen? Er sah sich selbst im Spiegel ihres Schminktisches.
»Nicholas Dane«, sagte er. »Nicholas Dane.« Selbst sein eigener Name klang unecht. Alles, was er tat, war unecht.
Es war schrecklich im Haus, er konnte es nicht länger ertragen. Er ging hinaus und fuhr mit dem Bus zurück zu Jenny. Wohin auch sonst.
4
Das Abendessen
Jenny hoffte, dass Nick nur mal kurz weggegangen war, um sich Süßigkeiten, eine Zeitschrift oder so was zu kaufen, aber als Mrs Batts gegen zwei vorbeikam, war er immer noch nicht wieder da und sie mussten seine Zukunft ohne ihn besprechen.
Mrs Batts war nicht sehr glücklich, als sie das mit dem Geld erfuhr.
»Dass er schon gleich steehlen muss«, sagte sie. Bekümmert schüttelte sie den Kopf.
»Na ja, Stehlen war’s ja nun nicht gerade«, schränkte Jenny ein. »Es war ja nur das Kleingeld aus dem Topf.«
»Er weiß, dass sich das nicht gehört, und Sie wissen, dass er das weiß«, schimpfte Mrs Batts. »Wenn daas meiner gewesen wäre, naa, der hätte aber was zu höören bekommen.«
»Sie haben auch Kinder in dem Alter?«
»Äh, nein, ich habe keine eigenen Kinder.«
»Ach so«, sagte Jenny vielsagend.
Mrs Batts blickte sie von der Seite an. »Aber im Rahmen meiner Arbeit habe ich umfassende Erfaahrungen mit jungen Menschen gemaacht. Daaher gehört es zu meinen Aufgaben, Empfehlungen für die Unterbringung von Jugendlichen auszusprechen, die sich in einer Laage wie Nicholas befinden.«
Jenny blickte ihr in die Augen. »Wie ich schon gesagt habe, er kann hier bleiben. So lange wie nötig. Muriel war meine beste Freundin.«
»Natürlich werden Sie in die Entscheidungsfindung mit einbezogen – deswegen bin ich ja hier. Aber da Sie keine Aangehörige sind, also, daa müssen wir schon prüfen, was am besten für Sie ist, als alleinstehende Mutter …«, Mrs Batts machte eine Pause, damit das sacken konnte, »… mit zwei kleinen Kindern und einem niedrigen Einkommen …« Sie machte erneut eine Pause. »Uund was am besten für Mr Nick selbst ist – vierzehn Jahre alt, notorischer Schulschwänzer, Mutter geraade an einer Überdosis Heroin gestorben. Sie verstehen schon, meine Liebe – was für aalle Beteiligten am besten ist.«
Wie ein Blitz schlug bei Jenny die Erkenntnis ein, dass die kleine Mrs Batts mit ihrer komisch lang gezogenen Sprechweise und ihrem braven Lächeln ein Schaf im Wolfspelz war. Du könntest mir das Leben zur Hölle machen , dachte Jenny. Beim nächsten Mal würde sie es sich zweimal überlegen, bevor sie dieser Frau irgendwas von Nick erzählte.
»Dann halten Sie bitte für Ihre Unterlagen fest, dass ich Nick aufnehmen möchte. Ich bin für ihn so was wie die nächste Verwandte. Ich habe Arbeit. Und keine unentschuldigten Fehlzeiten wie Nick vielleicht in der Schule, und ich habe ausgezeichnete Referenzen. Für Ihre Unterlagen.«
»Das nehme ich aalles auf«, lächelte Mrs Batts. Sie machte eine Pause, schrieb etwas in ihr Notizheft, und Jenny überlegte. Was hatte sie Mrs Batts gestern erzählt? Hatte sie über Joes Probleme gesprochen? Sie war so durcheinander gewesen … sie konnte sich kaum daran erinnern, was sie gesagt hatte.
»Wie hat denn der kleine Joe gestern Aabend auf Nick reagiert?«, fragte Mrs Batts, als könnte sie Gedanken lesen.
»Oh, wunderbar. Nick hat mit ihm über eine Stunde lang Karten gespielt«, log Jenny gelassen. Auch sie hatte das eine oder andere Ass im Ärmel.
Mrs Batts nickte. »Daas ist gut«, sagte sie.
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