Nicholas Dane (German Edition)
flüsterte er.
Jenny drehte sich um und guckte ihn an. »Wo warst du? Du hast doch gesagt, du kommst früher und hilfst mir.«
»… bin aufgehalten worden«, murmelte Ray.
»Na, dann steh hier nicht blöd rum«, sagte sie. »Geh rein und unterhalte dich mit ihr. Erzähl ihr, was für eine nette Familie wir sind.«
»Mach ich«, sagte Ray und stolperte über die Matte, als er zurück ins Wohnzimmer ging. Die arme Jenny merkte das gar nicht, weil sie mit den Gedanken ganz woanders war. Warum um Himmels willen hatte sie sich für ein Abendessen mit Braten und allem Drum und Dran entschieden? Sie hatte sogar Yorkshire Pudding gemacht, obwohl der eigentlich gar nicht zu Brathähnchen passte. Bei Braten geriet sie immer in Panik.
Jenny nahmdasHuhnausdemOfen, legteesaufeinBackblechundließesnochmalbeigrößererHitzebraten, damit es schön knusprig wurde.
Dann stelltesiedenBräteraufdenHerd, umdieSoßezumachen, gosskochendesWasserüberdenKohlundstellte die Teller zum Wärmen in den Ofen.
Pause. Sie zündete sich eine Zigarette an und steckte den Kopf aus der Tür. Ray rauchte und erklärte Mrs Batts lauthals, wie wichtig eine Familie sei.
»Aber du rauchst doch gar nicht«, murmelte Jenny vor sich hin. Neugierig beobachtete sie die beiden noch einen Moment, doch bevor sie sich in das Gespräch einschalten konnte, klingelte es.
Mrs Batts verfolgte mit argwöhnischen Blicken, wie Jenny an ihr vorbeilief und schnell die Tür aufmachte, bevor jemand anders dazu kam. Draußen stand Nick, pitschnass vom Regen, mit glänzenden Augen.
»Nick, Gott sei Dank, dass du da bist, Gott sei Dank«, legte Jenny los. »Pass auf.« Sie packte ihn am Arm und zog ihn ins Haus. »Ich habe heute erfahren, dass es nicht meine Entscheidung ist, ob du hier wohnen kannst, sondern wir müssen Mrs Batts dazu kriegen, dass sie das gut findet. Ich habe sie zum Essen eingeladen, damit sie sieht, dass wir eine ganz normale Familie sind. Du musst mir dabei helfen! Okay?«
Der Junge nickte. Jenny reckte ihren Daumen hoch, atmete einmal tief durch und führte Nick ins Wohnzimmer. Alle guckten ihn erwartungsvoll an.
»Na!«, rief Jenny. »Ist das nicht wunderbar?«
Das Abendessen dauerte nicht lange.
Wie betrunken Ray war, merkte selbst Jenny daran, dass er etwa einen halben Liter Soße auf seinen Teller kippte und dann schnell die Kartoffeln rausfischen musste, damit die Soße nicht überschwappte. Es sah aus, als hätte er einen Teller Suppe vor sich. Kurz darauf fiel Jenny auf, dass mit Joe was nicht stimmte, denn er guckte sie immer wieder an, verzog das Gesicht und schielte dann zu Nick hinüber. Grace sah aus wie die Unschuld in Person, ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie wieder mal eine Intrige gesponnen hatte, deren Opfer meistens Joe war.
Mrs Batts versuchte krampfhaft, Abstand zu dem stinkenden Ray zu halten. Da sie sich aber nichts anmerken lassen und ihn nicht anstarren wollte, nahm ihr Gesicht eigenartige Züge an. Nick war der Einzige, der einigermaßen normal zu sein schien. Aber in Wirklichkeit war er das überhaupt nicht. Er kam sich vor wie ein Champignon – im Dunkeln gehalten und mit Scheiße ernährt. Das verkrampfte Gespräch beim Essen nervte ihn so, dass er dachte, sein Kopf würde explodieren. Wenn er ein eigenes Zimmer gehabt hätte, wäre er nach oben gelaufen und hätte geweint.
Er aß schweigend auf, was er auf dem Teller hatte, legte Messer und Gabel ab, wandte sich an Jenny und sagte so laut, dass alle es hören konnten:
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass meine Mutter an einer Überdosis gestorben ist?«
Jenny, die sich gerade eine Kartoffel in den Mund schieben wollte, erstarrte mitten in der Bewegung und guckte ihn an.
»Sie haben es ihm immer noch nicht gesaagt?«, fragte Mrs Batts ungläubig.
»Er ist so spät nach Hause gekommen … es war …«
»Ich hab’s von Evelyn von nebenan gehört. Das ist doch oberscheiße.«
»Kein Grund, so ordinäär zu sprechen«, pikierte sich Mrs Batts.
»Ihr habt gelogen wie die Muppets.«
»Die Muppets lügen nicht«, warf Joe ein.
»Überlasst das mir«, sagte Ray.
»Als ich heute Mittag nach Hause kam, warst du nicht da. Wie hätte ich es dir denn sagen sollen, wenn du nicht da warst? Hast du meinen Zettel nicht gelesen?«
»Wieso weiß jeder in Manchester, was mit meiner Mutter passiert ist, bloß ich nicht?«, schnaubte Nick. Jenny zuckte zusammen. »Und was ist mit dir? Warum warst du denn überhaupt da? Wolltest du dir auch was genehmigen
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