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Nicholas Dane (German Edition)

Nicholas Dane (German Edition)

Titel: Nicholas Dane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melvin Burgess
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habe deine Akte vor mir liegen. Ich weiß alles über dich. Deine Mum ist gestorben. Sieht nicht richtig gut aus. Tja, musst du eben sehen, dass du das Beste draus machst. Tu, was dir gesagt wird, und fall nicht auf. Wird ’ne Weile dauern, bis du hier zu Rande kommst. Kann sein, du wirst ein paar Schläge einstecken müssen. Sag mir, Nicholas« – sie legte den Kopf zurück und betrachtete ihn über ihre runden Wangen hinweg –, »weißt du, wie man sich unsichtbar macht?«
    Nick zuckte die Achseln. Das klang nicht wie eine Frage, auf die eine Antwort erwartet wurde.
    »Das musst du nämlich hier können, dich unsichtbar machen«, erklärte sie ihm und wackelte mit dem Kopf. »Und verlass dich nicht darauf, dass dich irgendjemand hier rausholt. Wer nimmt schon einen so großen Kerl wie dich? Dein hübsches Gesicht wird dir nicht viel nutzen. Im Gegenteil. Tja. Hast du hier irgendwo in der Nähe Verwandte, Nicholas?«
    »Die sind alle in Australien«, sagte Nick entschuldigend.
    »Also, das hier hat jedenfalls nichts mit Familie zu tun«, wetterte sie. »Ich glaube, es gibt nicht eine Menschenseele hier in Meadow Hill, die überhaupt wüsste, was eine Familie ist.«
    Nick trank seine Cola und sagte nichts. Dilys griff sich den Stift und widmete sich dem Papierkram auf ihrem Schreibtisch, bis ein paar Minuten später das Telefon klingelte. Sie nahm den Anruf entgegen und brachte Nick zu Mr William James, dem Leiter von Meadow Hill.
    Bill James war ein massiger, blasser Mann mit weichen, rosafarbenen Ohren, die wie zwei Becherhenkel aus seinem schütteren, schulterlangen Haar herausguckten. Er hatte müde, braune Glupschaugen, die von tiefdunklen, fast schwarzen Ringen umrandet waren. Als Dilys Nick ablieferte, saß Bill James weit zurückgelehnt hinter seinem Schreibtisch. Er trug einen schmuddeligen dunklen Anzug mit lauter Schuppen auf den Schultern, trank löslichen Kaffee und strich sich Kekskrümel von den Ärmeln. Erst als er zur Begrüßung um den Tisch herumtrat, kam sein enormer Umfang zur Geltung. Der Heimleiter wog bestimmt über einhundertzwanzig Kilo.
    Bill James war seit über fünfundzwanzig Jahren Heimleiter in Meadow Hill. Er war ein engagierter Mann, ein Reformer. Er war der festen Überzeugung, dass es keine schlechten Kinder gab und dass selbst aus den schlimmsten Exemplaren brauchbare Erwachsene werden konnten. Sein Motto: »Jedes Kind hat das Recht auf einen neuen Anfang.«
    Er setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch und betrachtete den Jungen, der ihm gegenübersaß. Nick war blass und schmutzig, sein Gesicht war rot und auf einer Seite ein wenig geschwollen. Offenbar hatte er sich vor kurzem geprügelt. Die Sorte also. Ein gut aussehender Junge. Hellbraunes Haar, blaue Augen. Unruhestifter. Das stand für Bill James außer Frage. Komisch, dass es immer die Hübschen waren, die den meisten Ärger machten.
    Er hieß Nick willkommen und hob dann zu seiner Einführungsrede an.
    »Meadow Hill«, erklärte er Nick, »ist das Ende der Fahnenstange. Wir kümmern uns um Jungen, die niemand sonst haben will. Die landen alle bei uns. Jugendliche Straftäter, Rumtreiber, Tunichtgute, Schläger und Waisen. Außerhalb dieser Einrichtung wird viel Übles getan, wie du sicher weißt, und viele Übeltäter kommen hierher nach Meadow Hill, unter meine Fittiche. Und alle erhalten die gleichen Chancen. In Meadow Hill sind wir alle gleich. Jedes Kind hat die Möglichkeit, ganz neu anzufangen. Allerdings muss ich sagen, Nicholas, dass nicht sehr viele diese Chance nutzen. Sehr wenige sogar. Nur hin und wieder einmal gelingt es jemandem, sich aus einem kriminellen Leben zu verabschieden. Nicholas«, sagte er ernsthaft und blickte ihn über den Rand seiner Lesebrille hinweg an, »kannst du dir vorstellen, einer von denen zu sein?«
    Nichalos war verwirrt. »Aber ich hab doch gar nichts gemacht, Sir.«
    Mr James lächelte bitter. »Das sagen sie alle.« Er blickte auf die Unterlagen vor ihm. »Mutter«, stellte er fest: »Heroin.«
    Nick starrte ihn mürrisch an.
    Mr James seufzte und zeigte mit der Hand zum Fenster.
    »Sag mir, Nicholas. Was siehst du dort?«
    Nicks Blicke folgten der Hand. »Nichts, Sir.«
    »Bäume«, half ihm Mr James.
    »Bäume.«
    »Bäume, Sir.«
    »Bäume, Sir.«
    »Die lieblichen Knospen des Monats Mai. Ein neuer Anfang. Weg von der Straße, weg von den Drogen, weg von unfähigen Eltern.«
    »Meine Mutter war nicht unfähig.«
    »Ach ja? Eine gute Mutter wäre vielleicht bei der

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