Nicholas Dane (German Edition)
schlich mit ihm hinten aus dem Haus, zwischen Holundersträucher und Büsche, die verwahrloste Blumenbeete überwucherten. Oliver flatterte auf seine eigentümliche Art voraus, so dass Nick sich alleine durch die Sträucher zwängen musste. Doch schon bald war Oliver zurück und führte Nick noch tiefer ins Gestrüpp, bis sie auf zwei umgedrehte alte Eimer stießen, auf die sie sich setzten. Oliver zog ein Päckchen Weingummis aus der Tasche, zwei Marsriegel, eine Schachtel Zigaretten, Streichhölzer, ein Kartenspiel. Hinten in der Hose hatte er eine Zeitschrift stecken.
»Tittenblatt«, zischte er und ließ die Zeitschrift auf den Boden fallen.
Nick griff sich das Heft und blätterte darin. Es waren nur Mädchen abgebildet – einige davon reichlich nackt. Nick wusste noch nicht viel vom Leben in Meadow Hill, ahnte aber, dass das Heft ein Schatz sein musste.
»Wo hast du das alles her?«, fragte er. »Doch nicht von deiner Mum, oder?«
Oliver bedeutete ihm, leiser zu sein. »Flüstern!«, sagte er. Er riss einen Marsriegel auf. »Meine Mum hab ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen«, sagte er.
»Vom Kumpel?«
»Von einem Freund, genau«, sagte Oliver.
Eine Weile saßen sie schweigend da und aßen ihre Schokolade. Dann zündete sich jeder eine Zigarette an und sie rauchten.
»Du hast dich echt gut eingerichtet, was?«, sagte Nick. »Wie lange bist du schon hier?«
»Mit fünf war ich zum ersten Mal im Heim«, sagte Oliver, »und danach ging’s immer hin und her. Rein ins Heim, raus ausm Heim«, sagte er und wiederholte damit das, was er oft genug von Sozialarbeitern gehört hatte.
Sie tauschten sich aus. Oliver hatte allerdings nicht viel zu berichten, außer dass seine Mutter ihn nicht gewollt hatte und dass sie ihn seit ein paar Jahren nicht einmal mehr besuchte. Danach hatte Nick keine große Lust mehr, von sich zu erzählen.
Sie guckten zusammen die Zeitschrift an, lasen sich gegenseitig das Beste aus den Leserbriefen vor und dann wollten sie Karten spielen.
»Kannst du Schnippschnapp?«, fragte Oliver.
Nick verwunderte sich über Olivers Vorschlag, machte aber mit. Sie spielten ein paar Runden, danach ein anderes Spiel und verbrachten so eine angenehme Stunde. Plötzlich schrillte ein Pfiff, und sie hörten einen Mann Befehle brüllen.
»Die Schule ist aus«, sagte Oliver. »Wir müssen zurück, bevor die was merken.«
Oliver wohnte im selben Haus wie Nick, aber auf der anderen Seite. Er wollte nicht mit reingehen, doch er zeigte Nick von der Tür aus, wer die älteren Aufsichtsschüler waren, die für Ordnung sorgten, wenn Mr Toms nicht da war.
Es sah aus, als wären sie in die Vergangenheit versetzt worden. Fünfzehn Jungen knieten in einer Reihe und putzten über ausgelegten Zeitungen ihre Schuhe. Alle gaben sich richtig Mühe – sie schrubbten mit einer Bürste, manche spuckten sogar aufs Leder, damit es glänzte. Nick traute seinen Augen nicht. Er hatte in seiner Schule auch schwarze Schuhe tragen müssen, sie aber niemals täglich poliert. Die Jungen wandten Nick die Köpfe zu, aber keiner hörte dabei auf zu bürsten.
»Der mit den schwarzen Haaren, das ist Andrews«, flüsterte Oliver und deutete auf einen großen, schlaksigen Jungen, der sie beide anguckte. Der zweite Aufsichtsschüler war ein stämmiger Junge mit lauter kleinen, roten Aknepünktchen auf den Wangen. Er hieß Julian.
Oliver wandte sich zum Gehen und überließ Nick seinem Schicksal. Einen Moment lang blieb er unsicher stehen. Alle Jungen beobachteten ihn aus den Augenwinkeln, so dass er schließlich befangen auf den Dunkelhaarigen zuging, den Oliver ihm gezeigt hatte.
»Ich soll mich bei dir melden«, sagte er.
»Der Neue«, stellte Andrews fest und stand auf. Er deutete mit dem Kopf auf Nicks Füße, die in seinen alten Turnschuhen steckten. »Hast du schon dein Zeug bekommen?«
»Ja, ist oben«, sagte Nick.
»Dann hol deine Schuhe und putze sie«, sagte Andrews. »Und beeil dich, wir sind schon fast fertig.« Er kniete sich wieder hin, machte weiter und überließ es Nick, den Weg nach oben zu finden. Als er zurückkam, waren die anderen Jungen bereits fertig, und er musste auf der Treppe zur Seite treten und sie an sich vorbeilassen. Alle gingen auf Socken nach oben, packten ihre Schulsachen in die Schränke und holten ihre Freizeitkleidung heraus. Andrews ließ Nick seine Schuhe putzen, bis das runzelige, alte Leder glänzte. Erst dann durfte er hochgehen und seine Turnschuhe wieder anziehen. Unten wurde
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