Nicholas Dane (German Edition)
verlegen grinsend vor seinem Freund. Boxte ihn auf die Schulter. Nick boxte zurück. Simon boxte wieder. Nick wollte ihn in den Schwitzkasten nehmen, aber weil Simons Mutter danebenstand und wie ein Honigkuchenpferd grinste, war ihm das zu peinlich.
»Na also!«, rief sie und wackelte mit den Armen wie ein dicker alter Panda. »Da bist du ja wieder. Und – wie war’s im Heim, Nick? War’s schön?«
Nick starrte sie an, um sicherzugehen, dass das kein Witz sein sollte. Dann fiel ihm ein, dass ja niemand wusste, wie es im Heim wirklich zuging. Simons Mutter blickte ihn ganz neugierig an, hoffte, dass alles in Ordnung war. Sie hatte keinen Schimmer, wie schlimm es im Heim sein konnte.
Was sollte er sagen?
»Schon okay. Ziemlich hart. Essen ist scheiße«, sagte er fröhlich.
Mrs Simon nickte. Es war, als wäre nichts von all dem Schrecklichen geschehen.
»Man mag ja nicht glauben, was man alles über solche Heime hört, aber ich denk mal, so ein halbwegs anständiger Junge wie du, um den werden sie sich schon ordentlich kümmern.« Sie lachte, offensichtlich erleichtert. »Du bist wohl auf die Füße gefallen, Nick, was? Nick Dane, he, Simon? Der fällt immer auf die Füße, nich?«
Simon nickte und starrte seinen Freund an, als wäre der gerade aus einem Zauberhut gesprungen. Simon hatte große Augen mit langen braunen Wimpern – Kuhaugen, hatte Nick immer gesagt. Simon zwinkerte und grinste vor Freude. Nick lächelte vorsichtig. Er breitete die Arme aus.
»Abrakadabra«, sagte er.
Mrs Simon beugte sich plötzlich vor und umarmte Nick so heftig, dass sie ihn beinahe erdrückte. »Schön, dass du wieder da bist, Nick, schön, dass du wieder da bist«, sagte sie. Mit Tränen in den Augen trat sie zurück und blickte den Jungen an. »Warum hast du dich nicht sehen lassen? Das ist das erste Mal, dass ich dich zu Gesicht bekomme!«
Nick zuckte die Achseln. »Die lassen einen nicht so oft raus.«
Mrs Simon schwoll der Kamm vor Zorn. »Nicht so oft raus? Das sind doch Mistkerle! Oder? Sind das Mistkerle, Nick?«
Nick zögerte, überlegte, ob er ihr einen Grund für Nachforschungen geben wollte. Eines allerdings wusste er ganz genau: Glauben würde ihm niemand. Also würde er auch nichts erzählen.
Mrs Simon machte es ihm leicht. »Is doch immer dasselbe, nich? Manche sind eben Mistkerle, andere nicht, oder?«
Nick stimmte dieser recht vagen Aussage über die Zustände in Meadow Hill zu.
»Und jetzt bist du ja draußen, nich?«
Nick hatte sich die Antwort schon zurechtgelegt. »Bin bei Mums Freundin in Middleton. Hab ein paar Tage frei.«
»Aha.« Mrs Simon nickte. Es war Donnerstag. Er sah ihr an, was sie dachte … Nicht gerade ein Tag, an dem man Ausgang bekommt.
»Jedenfalls bist du hier jederzeit willkommen, Nick, das weißt du doch. Auf einen mehr kommt’s bei uns nicht an. Also gut«, sagte sie und überlegte, was sie ihm Gutes tun konnte. »Ich wette, ihr bekommt nicht genug zu essen, ich weiß das, in solchen Heimen bekommen die Kinder nie genug. Also, was willst du essen, zur Feier des Tages? Würstchen und Bohnen? Und zum Nachtisch habe ich noch Apfelkompott mit Streuseln. Na los, Nick, sag Ja. Dafür sind Mütter doch da …« Wieder wurde sie nervös, weil sie Mütter gesagt hatte, obwohl der Junge gerade seine Mutter verloren hatte. Aber Nick lief schon das Wasser im Mund zusammen.
»Ich esse alles, was Sie mir vorsetzen, Mrs Simon«, sagte er. Er nannte sie immer Mrs Simon, nach ihrem Sohn. Sie kicherte über diese kleine Dreistigkeit, sie wusste nicht, dass er die Eltern seiner Freunde immer nach deren Vornamen nannte – so konnte er sich besser merken, wer wer war.
Mrs Simon eilte in die Küche, Nick und Simon ließen sich aufs Sofa fallen.
»Tut mir leid, das mit deiner Mum«, sagte Simon. »Ich kann das gar nicht glauben.«
»Tja.«
»Scheiße.«
»Genau.«
»Und sie haben dich einfach aus der Schule genommen und so?«
»Da war ich nicht mehr, seit sie tot ist.«
Bei dem Wort tot wurde Simon rot und blickte zur Seite. Was sagt man zu jemandem, der seine Mutter, sein Zuhause, seine Schule, seine Freunde, einfach alles verloren hat?
»Wir waren auf der Beerdigung«, sagte Simon.
Nick schaute ihn erstaunt an. »Beerdigung?«, sagte er blöde. Natürlich hatte es eine Beerdigung gegeben. Niemand hatte ihm etwas davon gesagt, nicht ein Wort. Unwillkürlich füllten sich seine Augen mit Tränen, aber er riss sich zusammen.
»Was war denn mit dir?«, fragte Simon.
Nick
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