Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
im Baum verschwanden. Erst als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, verrieten seine hellen Augen, wie beunruhigt er war. Das war knapp gewesen. Noch ein oder zwei Herzschläge länger, und Hekate hätte Josh in eine zähe Masse verwandelt und vernichtet. Nicholas musste die Zwillinge von ihr fernhalten, damit ihre Unwissenheit sie nicht noch einmal in Gefahr brachte.
Flamel stieg über den abgeknickten Ast hinunter zum Teich. Dort folgte er einem schmalen, ungepflasterten Weg. Es waren jede Menge Spuren in der Erde – Eberspuren, aber auch Spuren, die eher aussahen wie menschliche Fußabdrücke… Und wieder andere waren eine seltsame Mischung aus beidem. Flamel wusste, dass er nicht allein war, dass jeder seiner Schritte beobachtet wurde. Und er musste davon ausgehen, dass die Torc Allta noch die schwächsten von Hekates Wachen waren.
Er kauerte sich ans Ufer des Teichs, holte tief Luft und gönnte sich einen Augenblick der Entspannung. Man konnte mit Fug und Recht sagen, dass dies einer der ereignisreicheren Tage in seinem langen Leben war, und er war erschöpft.
Von dem Moment an, in dem Dee Perenelle und den Codex geraubt hatte und die Zwillinge aufgetaucht waren, hatte Flamel gewusst, dass sich eine der ersten Prophezeiungen, die er in Abrahams Buch gelesen hatte, erfüllen würde.
»Die zwei, die eins sind, und das eine, das alles ist.« Flamel wiederholte die Worte flüsternd.
Der Codex steckte voller rätselhafter Aussagen und unverständlicher Sätze. Bei den meisten ging es um die Vernichtung von Danu Talis, der alten Heimat des Älteren Geschlechts. Aber es gab auch eine Reihe von Prophezeiungen, die die Rückkehr der Erstgewesenen und die Vernichtung und Versklavung der Humani zum Thema hatten.
»Es wird eine Zeit kommen, in der das Buch dem Dunkel verfällt…«
Nun, das war eindeutig.
»… und der Diener der Königin sich mit der Krähe verbündet…«
Damit musste Dr. John Dee gemeint sein. Er war der persönliche Berater und Hofmagier von Königin Elizabeth gewesen. Und bei der Krähe handelte es sich natürlich um die Krähengöttin.
»Dann werden die Älteren aus den Schatten heraustreten …«
Flamel wusste, dass Dees Bemühungen, die Rückkehr der Dunklen Älteren vorzubereiten, langsam Früchte trugen. Unbestätigten Berichten zufolge hatten immer mehr Dunkle ihre Schattenreiche verlassen und begonnen, die Welt der Humani zu erkunden.
»… und der Unsterbliche muss die Sterblichen ausbilden. Auf dass die zwei, die eins sind, zu dem einen werden, das alles ist.«
Er, Nicholas Flamel, war der Unsterbliche aus der Prophezeiung, dessen war er sich sicher. Die Zwillinge – »die zwei, die eins sind« – mussten die Sterblichen sein, die ausgebildet werden mussten. Aber er hatte keine Ahnung, was der letzte Teil des Satzes zu bedeuten hatte: »… das eine, das alles ist.«
Die Umstände hatten die Zwillinge in seine Obhut gegeben, und er wollte dafür sorgen, dass ihnen nichts zustieß – jetzt erst recht, wo er davon ausging, dass sie dazu bestimmt waren, im Krieg gegen die Dunklen Älteren eine entscheidende Rolle zu spielen. Nicholas wusste, dass er ein sehr hohes Risiko eingegangen war, als er Josh und Sophie zu Hekate mitgenommen hatte – vor allem auch noch in Begleitung von Scathach. Die Feindschaft zwischen der Kriegerprinzessin und der Göttin war älter als die meisten Zivilisationen der Erde.
Hekate gehörte zu den gefährlichsten Erstgewesenen überhaupt und sie besaß neben vielem anderen eben auch die Fähigkeit, die magischen Kräfte zu wecken, die in anderen Lebewesen schlummerten. Doch Hekates Fluch, der sie im Lauf eines Tages altern, bei Sonnenuntergang sterben und am nächsten Morgen neu erstehen ließ, beeinflusste ihr Denken. Zuweilen geschah es, dass die ältere Hekate vergaß, was ihr jüngeres Selbst versprochen hatte. Flamel hoffte, dass er das Mädchen Hekate am Morgen noch einmal dazu überreden konnte, die außergewöhnlichen Kräfte der Zwillinge zu aktivieren.
Der Alchemyst wusste, dass jeder Mensch magische Fähigkeiten in sich trug – aber bei wenigen waren sie so stark wie bei den Zwillingen. Würden diese Kräfte erst einmal geweckt, dann würden sie schnell ins Unermessliche wachsen. Flamel würde all sein Wissen, das er sich innerhalb der letzten sechshundert Jahre angeeignet hatte, dazu brauchen, um diese Fähigkeiten in die richtigen Bahnen zu lenken. Er wollte die Zwillinge vor den gefährlichen Kräften, die in ihnen
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