Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
in die schmale Rue de Marignan ein. »Sehen kann ich es allerdings nicht.«
Nicholas streckte sich, um möglichst weit in die lange, gerade Straße hineinsehen zu können. »Wo kommen wir hier raus?«
»An der Rue François, direkt vor der Avenue Montaigne«, ant wortete Johanna. »Ich gehe seit Jahrzehnten durch diese Straßen spazieren, kurve mit dem Fahrrad und dem Auto hier herum und kenne sie wie meine Westentasche.« Sie kamen an mindestens einem Dutzend geparkter Wagen vorbei, die alle Nidhoggs Spuren trugen: eingedrücktes Blech und gesprungene oder eingeschlagene Scheiben. Ein Metallklumpen, der einmal ein Fahrrad gewesen war, lag platt gedrückt auf dem Asphalt; eine Kette verband ihn noch mit einem Geländer.
»Johanna«, sagte Nicholas sehr leise, »ich glaube, du solltest dich beeilen.«
»Ich fahre nicht gern schnell.« Sie warf Flamel einen kurzen Blick zu, und obwohl es ihr widerstrebte, veranlasste sein Gesichtsausdruck sie dazu, das Gaspedal voll durchzudrücken. Der Motor heulte auf und das Auto machte einen Satz nach vorn. »Was gibt’s?«, fragte sie.
Flamel kaute auf seiner Unterlippe herum. »Mir ist gerade etwas eingefallen, das möglicherweise ein Problem darstellen könnte«, gab er schließlich zu.
»Was für ein Problem?«, fragten Johanna und Sophie gleichzeitig.
»Ein großes Problem.«
»Größer als Nidhogg?« Johanna schaltete mit einem scharfen Ruck in den höchsten Gang. Sophie hatte nicht den Eindruck, dass es einen Unterschied machte. Ihrem Gefühl nach wäre sie zu Fuß immer noch schneller gewesen als in diesem Auto. Sie bearbeitete das Polster mit den Fäusten, halb verrückt vor Sorge. Sie mussten so schnell wie möglich zu ihrem Bruder gelangen!
»Ich habe Josh die beiden fehlenden Seiten des Codex gegeben«, sagte Flamel. Er drehte sich um und schaute Sophie an. »Meinst du, dein Bruder hat sie bei sich?«
»Wahrscheinlich«, antwortete sie sofort, dann nickte sie. »Doch, ich bin sicher, dass er sie bei sich hat. Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, trug er den Beutel unter seinem T-Shirt.«
»Wie kommt es, dass Josh die Seiten des Codex hütet?«, fragte Johanna. »Ich dachte, du lässt sie nicht aus den Augen.«
»Ich habe sie ihm gegeben.«
»Du hast sie ihm gegeben? Warum?«
Flamel drehte sich wieder nach vorn und schaute auf die Straße. Überall waren Spuren, die bewiesen, dass Nidhogg hier entlanggerannt war. Als er sich Johanna zuwandte, war seine Miene düster. »Da er der Einzige von uns ist, der weder unsterblich ist noch ein Älterer und dessen Kräfte noch nicht geweckt wurden, dachte ich mir, dass er in keine der Auseinandersetzungen verwickelt würde, die uns bevorstehen, und auch nicht zur Zielscheibe von irgendjemandem werden könnte. Er ist nur ein Humani. Ich bin davon ausgegangen, dass die Seiten bei ihm in Sicherheit sind.«
Irgendetwas an der Aussage kam Sophie merkwürdig vor, aber sie hätte nicht sagen können, was es war. »Josh würde Dee die Seiten nie geben!« Davon war sie überzeugt.
Flamel drehte sich wieder zu ihr um und der Blick in seinen hellen Augen erschreckte sie. »Oh, glaub mir: Dee ist ein ebenso dunkler wie geschickter Magier. Er bekommt immer, was er will. Und was er nicht haben kann – das vernichtet er.«
K APITEL S IEBENUNDDREISSIG
M achiavelli brachte den Wagen mit quietschenden Bremsen zum Stehen, zwei Räder auf der Straße, zwei auf dem Bürgersteig. Er zog die Handbremse an, schaltete aber nicht in den Leerlauf, sodass der Wagen einen Satz nach vorn machte und der Motor dann abstarb. Sie standen auf einem Parkplatz am Ufer der Seine, ganz in der Nähe der Stelle, an der Machiavelli Nidhogg erwartete.
Einen Augenblick lang hörte man nichts außer dem leisen Ticken des Motors. Dann stieß Dee einen langen Seufzer aus. »Du bist der schlechteste Fahrer, der mir je begegnet ist.«
»Ich habe uns hierhergebracht, oder?«, verteidigte sich Machiavelli, um dann schnell das Thema zu wechseln: »Du weißt, dass es nicht einfach werden wird, das alles hier zu erklären?« Er kannte sich in den geheimnisvollsten und schwierigsten Künsten aus, hatte über ein halbes Jahrtausend Gesellschaft und Politik beeinflusst, sprach ein Dutzend Sprachen fließend, konnte in fünf verschiedenen Computersprachen programmieren und zählte weltweit zu den gefragtesten Experten auf dem Gebiet der Quantenphysik. Aber Auto fahren konnte er immer noch nicht. Es war peinlich. Er kurbelte das Fenster auf der
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