Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
goss gerade Kaffee in ein hohes Becherglas. Sophies Nasenflügel bebten. »Hawaiianischer Kona-Kaffee?«, fragte sie.
Johanna blinzelte überrascht und legte den Kopf schief. »Ich bin beeindruckt.«
Sophie zuckte lächelnd die Schultern. »Ich habe in einem Café- und Teeladen gearbeitet. Den Duft von Kona-Kaffee würde ich überall erkennen.«
»Es ist mein Lieblingskaffee, seit wir auf Hawaii waren«, erklärte Johanna. Sie sprach englisch mit einem kaum hörbaren amerikanischen Akzent. »Es gibt ihn nur zu besonderen Gelegenheiten.«
»Ich liebe den Duft, mag aber den Geschmack nicht. Der ist mir zu bitter.«
Johanna nahm einen Schluck. »Du bist sicher nicht gekommen, um mit mir über Kaffee zu reden, habe ich recht?«
Sophie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wollte …« Sie hielt inne. Sie musste die Frau etwas sehr Persönliches fragen, obwohl sie sie gerade erst kennengelernt hatte. »Kann ich dich etwas fragen?«, begann sie noch einmal.
»Alles«, erwiderte Johanna ernst und Sophie glaubte ihr.
Sie holte tief Luft und sprudelte dann heraus: »Scathach hat mir einmal gesagt, du wärst die Letzte mit einer rein silbernen Aura.«
»Deshalb reagiert deine Aura auch so stark auf meine«, sagte Johanna. Sie legte beide Hände um ihr Glas und schaute das Mädchen über den Rand hinweg an. »Ich muss mich entschuldigen, meine Aura hat deine überladen. Ich kann dir zeigen, wie du das in Zukunft verhindern kannst.« Sie lächelte und zeigte dabei ihre ebenmäßigen weißen Zähne. »Auch wenn die Chancen, dass du in deinem Leben noch einmal jemanden mit einer rein silbernen Aura triffst, unwahrscheinlich gering sind.«
Sophie knabberte nervös an dem Blaubeerbrötchen. »Entschuldige bitte, wenn ich dich das frage, aber bist du wirklich … wirklich Johanna von Orléans? Die Johanna von Orléans?«
»Ja, ich bin wirklich Johanna von Orléans.« Die Frau machte eine kleine Verbeugung. »Jeanne d’ Arc, die Jungfrau von Orléans, zu deinen Diensten.«
»Aber ich dachte … Ich meine … Man liest überall, dass du gestorben bist …«
Johanna neigte den Kopf und lächelte. »Scathach hat mich gerettet.« Sie streckte die Hand aus und berührte Sophies Arm und sofort sah die vor ihrem geistigen Auge verschwommene Bilder von Scathach auf einem großen schwarzen Pferd. Die Krie gerin trug eine Rüstung in Weiß und Pechschwarz und schwang zwei blitzende Schwerter.
»Die Schattenhafte hat sich ganz allein einen Weg durch die Menge gebahnt, die sich versammelt hatte, um meine Hinrichtung mitzuerleben. Keiner kam gegen sie an. In dem allgemeinen Chaos und der Panik hat sie mich meinen Scharfrichtern entführt.«
Weitere Bilder erschienen vor Sophies geistigem Auge: Johanna in zerrissenen und angesengten Kleidern, wie sie sich an Scathach klammerte, als die ihr ebenfalls in einer Rüstung steckendes schwarzes Pferd durch die erschrockene Menge dirigierte.
»Natürlich mussten alle behaupten, sie hätten Johanna sterben sehen«, sagte Scatty, die zu ihnen getreten war. Sie teilte mit einem gebogenen Messer eine Ananasscheibe sorgfältig in mundgerechte Stücke. »Niemand – weder auf englischer noch auf französischer Seite – wollte zugeben, dass die Jungfrau von Orléans vielleicht fünfhundert schwer bewaffneten Rittern unter der Nase weggeschnappt worden war, und das auch noch von einer Frau, einer einzelnen Kriegerin.«
Johanna nahm Scathach ein Stück Ananas aus der Hand und steckte es in den Mund. »Scatty hat mich zu Nicholas und Perenelle gebracht«, fuhr sie fort. »Sie haben mir Unterschlupf gewährt und sich um mich gekümmert. Ich war bei der Flucht verwundet worden und war geschwächt von der monatelangen Gefangenschaft. Doch trotz Nicholas’ allerbester Pflege wäre ich ohne Scatty gestorben.« Sie drückte erneut die Hand ihrer Freundin; die Tränen, die ihr dabei über die Wangen liefen, schien sie nicht zu bemerken.
»Johanna hatte eine Menge Blut verloren«, erzählte Scathach. »Was Nicholas und Perenelle auch taten, es wurde nicht besser mit ihr. Da hat Nicholas eine der ersten Bluttransfusionen der Geschichte durchgeführt.«
»Wessen Blut …«, begann Sophie – und wusste die Antwort plötzlich selbst. »Dein Blut?«
»Scathachs Vampirblut hat mir das Leben gerettet. Und mich am Leben erhalten – bis heute.« Johanna lächelte. Sophie fiel auf, dass ihre Zähne normal waren, nicht spitz wie die von Scatty.
»Zum Glück habe ich dadurch keine Vampireigenschaften angenommen.
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