Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
Eher hatte Dee seinen eigenen Meister angerufen und ihn dazu gebracht, die Bitte weiterzuleiten.
Doch Machiavellis Meister war einer der Mächtigsten unter den Dunklen Älteren … Und so stand er jetzt wieder vor der Frage, die ihn über die Jahrhunderte hinweg immer wieder brennend beschäftigt hatte: Wer war Dees Meister?
Jeder Mensch, dem ein Wesen des Älteren Geschlechts zur Unsterblichkeit verholfen hatte, war diesem Älteren verpflichtet. Ein Älterer, der Unsterblichkeit verlieh, konnte sie jederzeit widerrufen. Machiavelli war sogar schon einmal Zeuge eines solchen Widerrufs geworden. Er hatte gesehen, wie ein gesunder junger Mann innerhalb weniger Sekunden gealtert und verfallen war, bis schließlich nur noch ein Haufen morscher Knochen und trockene Haut von ihm übrig geblieben waren.
Machiavellis Datei der unsterblichen Menschen war quer-vernetzt mit den Älteren und Dunklen Älteren, denen sie dienten. Es gab nur sehr wenige Humani – wie Flamel, Perenelle und Saint-Germain –, die keinem Älteren zu Loyalität verpflichtet waren, weil sie aus eigener Kraft unsterblich geworden waren.
Niemand wusste, wem Dee diente. Aber es war offenbar jemand, der mächtiger war als der Dunkle Ältere, den Machiavelli Meister nannte. Und das machte Dee noch gefährlicher, als er ohnehin schon war.
Machiavelli beugte sich vor und drückte auf einen Knopf an seinem Schreibtischtelefon. Die Tür ging sofort auf und Dagon kam herein. In den Gläsern seiner Sonnenbrille spiegelten sich die kahlen Wände des Büros.
»Gibt es Neues vom Alchemysten?«
»Nichts. Wir haben uns die Videos aus den Überwachungskameras in der Metrostation Pont de l’Alma und sämtlichen Stationen besorgt, zu denen von dort aus eine Verbindung besteht, und wir sind dabei, sie uns anzusehen. Aber das dauert.«
Machiavelli nickte. Zeit war etwas, das er nicht hatte. Er wedelte mit der Hand in der Luft herum. »Wir wissen vielleicht nicht, wo er im Moment ist, aber wir wissen, wohin er geht: zum Haus von Saint-Germain.«
Dagons feucht-klebrige Lippen öffneten sich. »Das Haus wird beobachtet. Sämtliche Ein- und Ausgänge sind gesichert. Es sind sogar Männer in der Kanalisation unter dem Haus. Niemand kann hinein oder heraus, ohne dass wir es mitbekommen. Zwei Raid-Einheiten warten in Mannschaftswagen ganz in der Nähe in Seitenstraßen und eine dritte ist im Haus neben Saint-Germains Grundstück. Sie sind in wenigen Augenblicken über der Mauer.«
Machiavelli stand auf, trat hinter dem Schreibtisch hervor und ging durch das kleine, unpersönliche Büro, die Hände auf dem Rücken. Obwohl es seine offizielle Adresse war, benutzte er den Raum, in dem es nur den Schreibtisch, zwei Stühle und das Telefon gab, kaum. »Ich frage mich, ob das genug ist. Flamel ist sechs bestens ausgebildeten Beamten entwischt, die ihre Pistolen auf ihn gerichtet hatten, als er bäuchlings auf dem Pflaster lag. Und wir wissen, dass Saint-Germain, der Meister des Feuers, im Haus ist. Eine kleine Kostprobe seiner Fähigkeiten konnten wir heute Morgen erleben.«
»Das Feuerwerk war harmlos«, sagte Dagon.
»Ich bin sicher, dass er den Turm genauso leicht hätte schmelzen können. Vergiss nicht, er macht aus Kohle Diamanten. Wir wissen außerdem, dass die Kräfte des amerikanischen Mädchens geweckt wurden«, fuhr Machiavelli fort. »Und haben auch schon etwas von dem, was sie bewirken kann, gesehen. Der Nebel um Sacré-Cœur war eine Meisterleistung für ein so junges Mädchen ohne richtige Ausbildung.«
»Und dann ist da auch noch die Schattenhafte«, fügte Dagon hinzu.
Niccolò Machiavelli verzog das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse. »Ja, die Schattenhafte«, bestätigte er.
»Sie hat heute Morgen in dem Café ein Dutzend schwer bewaffneter Beamte überwältigt«, sagte Dagon. »Ich habe miterlebt, wie sie sich ganzen Armeen gestellt hat, und sie hat jahrhundertelang in einem Schattenreich der Unterwelt überlebt. Flamel hat sie offenbar zum Schutz der Zwillinge eingesetzt. Sie muss ausgeschaltet werden, bevor wir gegen irgendeinen von den anderen vorgehen.«
»Sehr richtig.«
»Du wirst eine ganze Armee brauchen«, meinte Dagon.
»Vielleicht auch nicht. Vergiss nicht: ›List und Tücke nützen einem Mann allemal mehr als Kraft‹«, zitierte er.
»Von wem ist das?«
»Von mir. Ich habe das einmal in einem meiner Bücher geschrieben. Es hat auf den Hof der Medici zugetroffen und es trifft auch heute noch zu.« Er schaute auf. »Hast du nach
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