Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
Erinnerungen und Gedanken zu verarbeiten.«
»So viel Zeit hatten wir nicht«, murmelte Sophie.
»Dafür hast du sie jetzt. Esst auf, dann zeige ich euch eure Zimmer. Schlaft, so lange ihr wollt. Ihr seid vollkommen sicher. Kein Mensch weiß, dass ihr hier seid.«
K APITEL A CHTZEHN
S ie sind in Saint-Germains Stadthaus in einer Parallelstraße zur Champs-Élysées.« Machiavelli drückte das Telefon ans Ohr, lehnte sich in dem drehbaren schwarzen Ledersessel zurück und schwang herum, damit er aus dem Fenster schauen konnte. In der Ferne war über den Ziegeldächern die Spitze des Eiffelturms zu erkennen. Das Feuerwerk war endlich vorbei, doch noch immer hingen regenbogenfarbene Wolken in der Luft. »Keine Bange, Doktor, das Haus wird beobachtet. Saint-Germain, Scathach und die Zwillinge sind drin. Weitere Bewohner gibt es nicht.«
Machiavelli hielt das Telefon von seinem Ohr weg, als statische Elektrizität in der Leitung knisterte und knackte. Dees Flugzeug hob gerade von einem kleinen privaten Flugplatz im Norden von L. A. ab. Es würde zum Auftanken in New York zwischenlanden, dann über den Atlantik nach Shannon in Irland fliegen und noch einmal auftanken, bevor es nach Paris weiterflog. Das Knistern hörte auf und Dees Stimme kam wieder klar und deutlich durch die Leitung.
»Und der Alchemyst?«
»In Paris untergetaucht. Meine Leute hatten ihn mit vorgehaltener Waffe auf dem Boden, doch er hat sie irgendwie mit Zucker überzogen und dann sämtliche Ameisen von Paris auf sie losgelassen. Sie sind in Panik geraten und er ist entkommen.«
»Transmutation«, bemerkte Dee. »Wasser besteht aus zwei Teilen Wasserstoff und einem Teil Sauerstoff. Bei Saccharose ist das Verhältnis ebenfalls zwei zu eins. Er hat Wasser in Zucker verwandelt – ein billiger Trick. Ich hätte mehr von ihm erwartet.«
Machiavelli strich sich mit der Hand über das kurz geschorene schneeweiße Haar. »Ich fand es ziemlich clever«, bemerkte er milde. »Schließlich hat er mit diesem billigen Trick sechs Polizeibeamte ins Krankenhaus gebracht.«
»Er wird dorthin gehen, wo auch die Zwillinge sind«, blaffte Dee. »Er braucht sie. Er hat sein ganzes Leben lang darauf gewartet, dass sie auftauchen.«
»Darauf haben wir alle gewartet«, erinnerte Machiavelli den Magier leise. »Und im Augenblick wissen wir, wo sie sind, das heißt, wir wissen, wo Flamel hingeht.«
»Unternimm nichts, bevor ich nicht da bin«, befahl Dee.
»Hast du eine ungefähre Vorstellung, wann das sein – «, begann Machiavelli. Dann brach die Verbindung ab. Er war nicht sicher, ob Dee aufgelegt hatte oder die Leitung zusammengebrochen war. So wie er Dee kannte, hatte er wahrscheinlich aufgelegt. Das war sein Stil.
Niccolò Machiavelli tippte sich mit dem Telefon kurz an die schmalen Lippen, bevor er auflegte. Er hatte nicht die Absicht, Dees Befehl zu befolgen; er würde sich Flamel und die Zwillinge schnappen, bevor Dees Flugzeug in Paris landete. Er würde das tun, was Dee in all den Jahrhunderten nicht gelungen war. Und als Gegenleistung würden die Älteren ihm jeden Wunsch erfüllen.
Machiavellis Handy vibrierte in seiner Tasche. Er zog es heraus und schaute auf das Display. Eine ungewöhnlich lange Zahlenreihe scrollte darüber, eine Nummer, wie es sie bestimmt nicht noch einmal gab. Der Chef des Geheimdienstes runzelte die Stirn. Lediglich der französische Staatspräsident, ein paar hochgestellte Kabinettmitglieder und seine persönlichen Berater hatten diese Nummer. Er drückte auf »Annehmen«, meldete sich aber nicht.
»Der englische Magier glaubt, dass du Flamel und die Zwillinge in deine Gewalt bringen willst, bevor er ankommt.« Die Stimme am anderen Ende sprach einen griechischen Dialekt, den seit Jahrtausenden niemand mehr gehört hatte.
Niccolò setzte sich kerzengerade auf. »Meister?«
»Ich will, dass du Dee deine volle Unterstützung gewährst. Unternimm nichts gegen Flamel, bevor er nicht da ist.« Damit wurde aufgehängt.
Machiavelli legte sein Handy vorsichtig auf den leeren Schreibtisch und lehnte sich wieder zurück. Er hielt beide Hände vors Gesicht und wunderte sich nicht, dass sie zitterten. Das letzte Mal, dass er mit dem Älteren, den er Meister nannte, gesprochen hatte, war eineinhalb Jahrhunderte her. Es war der Ältere, der ihm zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Unsterblichkeit verliehen hatte. Hatte Dee irgendwie Kontakt mit ihm aufgenommen? Machiavelli schüttelte den Kopf. Das erschien ihm höchst unwahrscheinlich.
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