Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
Flamel in seine Gewalt zu bringen, war der englische Magier gescheitert, immer wieder und mehrmals in genau dieser Stadt.
Wie es die Flamels geschafft hatten, ihm immer wieder zu entwischen, blieb eines der größten Geheimnisse seines langen Lebens. Er hatte eine ganze Armee menschlicher und un menschlicher Agenten unter sich; er konnte die Vögel des Himmels für seine Zwecke einsetzen und Ratten, Katzen und Hunden Befehle erteilen. Doch seit über vierhundert Jahren entzogen sich die Flamels seinem Zugriff, zuerst hier in Paris, dann in ganz Europa und schließlich in Amerika. Immer waren sie ihm einen Schritt voraus, verließen die Stadt oft erst wenige Stunden, bevor er eintraf. Es war fast, als würden sie gewarnt. Doch das war natürlich ausgeschlossen. Der Magier weihte niemanden in seine Pläne ein.
Im Zimmer hinter ihm wurde eine Tür geöffnet und wieder geschlossen. Dee blähte die Nasenflügel auf, ein Hauch von modriger Schlange wehte ihn an. »Guten Abend, Niccolò«, sagte Dee, ohne sich umzudrehen.
»Willkommen in Paris.« Niccolò Machiavelli sprach lateinisch mit italienischem Akzent. »Ich darf davon ausgehen, dass du einen guten Flug hattest und das Zimmer deinen Vorstellungen entspricht?« Machiavelli hatte dafür gesorgt, dass Dee am Flughafen abgeholt und mit Polizeieskorte zu seinem großen Stadthaus am Place du Canada gebracht worden war.
»Wo sind sie?« Es war unhöflich, wie Dee die Frage seines Gastgebers überging und seine Autorität herausstellte.
Machiavelli trat zu Dee auf den Balkon und stellte sich neben ihn. Da er seinen Anzug nicht an der Metallbrüstung beschmutzen wollte, legte er die Hände auf den Rücken. Die beiden Männer hätten unterschiedlicher nicht sein können: hier der hochgewachsene, elegante, frisch rasierte Italiener mit dem kurz geschorenen weißen Haar, dort der kleine Engländer mit dem kantigen Gesicht, dem Spitzbart und dem zu einem Pferdeschwanz straff zurückgekämmten grauen Haar.
»Sie sind noch in Saint-Germains Haus. Und Flamel ist seit Kurzem auch da«, berichtete Machiavelli.
Dr. Dee schaute ihn von der Seite her an. »Ich bin überrascht, dass du nicht versucht warst, sie dir selbst zu schnappen«, bemerkte er listig.
Machiavelli blickte über die Stadt, die er überwachte. »Oh, ich dachte, ich überlasse dir den letzten Schritt bei der Gefangennahme«, meinte er gnädig.
»Du willst wohl sagen, man hat dich angewiesen, sie mir zu überlassen«, blaffte Dee.
Machiavelli sagte nichts.
»Saint-Germains Haus ist komplett umstellt?«
»Komplett.«
»Und es sind nur fünf Leute im Haus? Kein Dienstpersonal, keine Wachen?«
»Der Alchemyst und Saint-Germain, die Zwillinge und die Schattenhafte.«
»Scathach ist das Problem«, sagte Dee.
»Ich hätte da einen Vorschlag«, meinte Machiavelli leise. Er wartete, bis sich der Magier zu ihm umdrehte. Seine normalerweise steingrauen Augen wirkten im Licht der Straßenlaterne fast schon orange. »Ich habe nach den Disir geschickt, Scathachs schlimmsten Feinden. Drei sind gerade angekommen.«
Ein seltenes Lächeln umspielte Dees Lippen. Dann trat er einen Schritt zurück und verbeugte sich leicht. »Die Walküren – eine wahrhaft ausgezeichnete Wahl.«
»Wir sitzen im selben Boot.« Auch Machiavelli verneigte sich. »Wir dienen den gleichen Herren.«
Der Magier wollte schon wieder ins Zimmer zurückgehen, blieb dann aber stehen und drehte sich noch einmal zu Machiavelli um. Für einen Augenblick hing ganz schwach der schwefelige Geruch nach faulen Eiern in der Luft. »Du hast keine Ahnung, wem ich diene.«
Dagon öffnete schwungvoll die breiten Doppeltüren und trat zur Seite, damit Niccolò Machiavelli und Dr. John Dee in die gut bestückte, prunkvolle Bibliothek eintreten und die Besucher begrüßen konnten.
Drei junge Frauen warteten in dem Raum.
Auf den ersten Blick waren sie sich so ähnlich, dass es Drillinge hätten sein können. Sie waren groß und schlank, hatten blondes, schulterlanges Haar und trugen alle drei dieselben schwarzen Tank-Tops, Jeans, die sie in kniehohe Stiefel gesteckt hatten, und weiche schwarze Lederjacken. Auffallend waren ihre kantigen Gesichter: scharf hervortretende Wangenknochen, tief in den Höhlen liegende Augen, spitzes Kinn. Nur in der Augenfarbe unterschieden sie sich: Die Blautöne reichten von einem sehr, sehr hellen Saphirblau bis zu einem dunklen, fast schon ins Lila gehenden Indigo. Alle drei sahen aus wie sechzehn oder siebzehn, waren in
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