Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
her. »Ich glaub’s nicht«, murmelte er vor sich hin, »ich kann nicht glauben, dass ich das mache. Dabei mag ich Scatty nicht einmal. Na ja, nicht so besonders …«, fügte er hinzu.
K APITEL Z WEIUNDDREISSIG
N iccolò Machiavelli war schon immer vorsichtig gewesen.
Er hatte im 15. Jahrhundert am Hof der Medici in Florenz überlebt, wo das Leben ausgesprochen gefährlich war und viele Höflinge den Tod gefunden hatten, und er hatte seinen Einfluss sogar ausweiten können in einer Zeit, als Intrigen zum guten Ton gehörten und Morde und Attentate an der Tagesordnung waren. Sein bekanntestes Buch, Der Prinz , war eines der ersten, in dem List und Tücke, Lüge und Betrug als etwas durchaus Akzeptables für einen Herrscher hingestellt wurden.
Machiavelli überlebte, weil er taktvoll war, vorsichtig, clever und vor allem listenreich.
Was in aller Welt hatte ihn also dazu bewogen, die Disir zu rufen? Die Walküren hatten in ihrer Sprache kein Wort für taktvoll und die Bedeutung des Begriffes Vorsicht war ihnen gänzlich unbekannt. Ihre Vorstellung von clever und listenreich war es, Nidhogg – ein unkontrollierbares Urzeitmonster – mitten in eine neuzeitliche Stadt zu bringen.
Und er hatte es zugelassen.
Jetzt hallten die Straßen wider vom Lärm der Zerstörung: Glas splitterte, Holz brach und Mauern stürzten ein. Sämtliche Alarmanlagen in dem Viertel heulten, ob in Autos oder an Gebäuden, und in den Häusern entlang der Gasse brannte überall Licht. Vor die Tür hatte sich allerdings noch niemand getraut.
»Was ist da vorn bloß los?«, überlegte Machiavelli laut.
»Nidhogg wird sich an Scathach gütlich tun«, erwiderte Dee geistesabwesend. Sein Handy hatte angefangen zu summen und lenkte ihn ab.
»Nein, tut er nicht!«, brüllte Machiavelli plötzlich. Er stieß die Wagentür auf, sprang auf die Straße, packte Dee am Kragen und zerrte ihn hinaus in die Nacht. »Dagon! Raus!«
Dee versuchte, auf die Füße zu kommen, doch Machiavelli schleifte ihn rückwärts von seinem Wagen weg.
»Hast du den Verstand verloren?«, kreischte der Magier.
Glas splitterte wie bei einer Explosion, als Dagon sich durch die Windschutzscheibe warf. Er rutschte von der Kühlerhaube und landete neben Machiavelli und Dee, doch der Magier schaute überhaupt nicht hin; er hatte endlich auch gesehen, was den Italiener so erschreckt hatte.
Nidhogg kam durch die schmale Gasse auf sie zugerannt, hoch aufgerichtet auf seinen zwei mächtigen Hinterbeinen. In den Klauenhänden hielt er eine rothaarige Gestalt, die schlaff herunterhing.
»Zurück!«, rief Machiavelli, warf sich auf den Boden und zog Dee mit hinunter.
Nidhogg trampelte über die lange schwarze Limousine hinweg. Eine Hinterpfote landete mitten im Dach und drückte es fast bis aufs Pflaster ein. Scheiben zersprangen, und die Scherben flogen wie Granatensplitter in alle Richtungen, als der Wagen in der Mitte einbrach und Vorder- und Hinterräder sich vom Boden hoben.
Dann war das Ungeheuer in der Nacht verschwunden.
Einen Augenblick später sprang eine weiß gekleidete Disir mit einem einzigen Satz über das Schrottauto hinweg und folgte ihm.
»Dagon?«, flüsterte Machiavelli und rollte sich herum. »Dagon, wo bist du?«
»Ich bin hier.« Der Fahrer stand auf, als sei nichts geschehen, und klopfte sich Glasscherben von seinem schwarzen Anzug. Er nahm die zerbrochene Sonnenbrille ab und ließ sie einfach fallen. Auf seinen Glupschaugen lagen regenbogenfarbene Schlieren. »Er hatte Scathach in den Klauen«, sagte er, lockerte seine schwarze Krawatte und öffnete den obersten Knopf an seinem weißen Hemd.
»Ist sie tot?«, fragte Machiavelli.
»Dass Scathach tot ist, glaube ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen gesehen habe.«
»Ich auch. Es hat schon so oft geheißen, sie sei tot. Und dann tauchte sie plötzlich wieder auf. Wir brauchen eine Leiche.«
Dee rappelte sich aus einer schmutzigen Pfütze auf. Er hatte Machiavelli im Verdacht, ihn absichtlich hineingestoßen zu haben. Angewidert schüttelte er Wasser aus seinem Schuh. »Wenn Nidhogg die Schattenhafte hat, ist sie so gut wie tot. Wir waren erfolgreich.«
Dagon ließ seine Fischaugen kullern und schaute auf Dee hinunter. »Du bornierter, arroganter Dummkopf! Irgendetwas im Haus hat Nidhogg vertrieben, deshalb läuft er weg. Und es kann nicht Scathach gewesen sein, weil er die in seinen Klauen hat. Und vergiss nicht: Nidhogg ist ein Wesen ohne Angst. Drei Disir sind in das Haus hineingegangen und
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