Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
aus. »Machen wir irgendwas mit unseren Auren und denken dabei an Wasser? Sollten wir schon mal üben?«
»Das läuft über den Instinkt. Wenn du sie brauchst, weißt du, was du tun musst.« Sophie drückte die Hände ihres Bruders nach unten. »Du kannst deine Aura jetzt nicht einsetzen«, erinnerte sie ihn. »Sie verrät unseren Standort. Das ist jetzt der dritte Zweig der Magie, den ich kennengelernt habe, und du hast recht, es ist nichts Spektakuläres. Aber das waren die anderen beiden auch nicht. Ich habe mich nicht stärker oder schneller oder sonst was gefühlt, nachdem ich Luft und Feuer gelernt hatte, aber ich fühle mich trotzdem … anders .«
»Anders?« Josh sah seine Schwester an. »Du siehst nicht anders aus. Nur wenn deine Augen silbern werden. Dann machst du mir Angst.«
Sophie nickte. Sie wusste, wovon ihr Bruder sprach. Sie hatte gesehen, wie seine Augen sich in flache goldene Scheiben verwandelt hatten, und hatte das entsetzlich gefunden. Sie lehnte den Kopf an die glatten Bretter der Scheunenwand und schloss die Augen. »Weißt du noch, wie es war, als sie dir letztes Jahr den Gips vom Arm genommen haben?«
Josh grunzte. »Das vergesse ich bestimmt nie.« Er hatte sich im letzten Sommer beim Sport den Arm gebrochen und musste drei Monate lang einen Gips tragen.
»Was hast du gesagt, als der Gips aufgeschnitten wurde?«
Josh hob unbewusst die linke Hand, drehte sie hin und her und machte eine Faust. Der Gips war irrsinnig lästig gewesen. Ganz viele Dinge hatte er damit nicht tun können, einschließlich die Schuhe binden. »Ich habe gesagt, dass ich endlich wieder ich selbst bin.«
»Genau so fühle ich mich auch.« Sophie öffnete die Augen und sah ihren Bruder an. »Mit jedem Zweig der Magie, den ich lerne, fühle ich mich vollständiger. Es ist, als hätten mir mein ganzes Leben lang Teile gefehlt und als würde ich jetzt Stück für Stück wieder heil und ganz.«
Joshs Lachen kam ziemlich zittrig heraus. »Wenn du den letzten Zweig der Magie gelernt hast, brauchst du mich wahrscheinlich nicht mehr.«
Sie drückte seinen Arm. »Blödmann. Du bist mein Zwillingsbruder. Wir sind die zwei, die eins sind.«
»Das Eine, das alles ist«, ergänzte er.
»Ich wüsste gern, was es bedeutet«, sagte Sophie leise.
»Ich habe so das Gefühl, dass wir es bald erfahren werden, ob wir wollen oder nicht«, erwiderte Josh.
K APITEL A CHTUNDFÜNFZIG
S aint-Germain war ein in ganz Europa bekannter Rockstar und der junge Polizeibeamte erkannte ihn sofort. Er kam auf ihn zu, salutierte zackig und zog schnell seinen Lederhandschuh aus, als der Graf ihm die Hand entgegenstreckte. Hinter den getönten Scheiben des Renault saßen die beiden Frauen – nächste Generation und unsterblicher Mensch – und beobachteten, wie Saint-Germain dem Mann die Hand schüttelte und ihn dann geschickt so drehte, dass er mit dem Rücken zur Straße stand.
»Gehen wir.« Johanna öffnete leise die Tür und trat hinaus in den warmen Nachmittag. Eine Sekunde später folgte Scathach und drückte die Wagentür fast geräuschlos hinter sich zu. Nebeneinander gingen die beiden Frauen zur Kathedrale. Sie liefen so nah an Saint-Germain und dem Polizisten vorbei, dass sie einen Teil der Unterhaltung mitbekamen.
»… eine Schande. Eine nationale Tragödie. Ich habe mir überlegt, ob ich nicht ein Konzert geben soll, um Geld für die Restaurierung der Kathedrale aufzubringen …«
»Ich würde kommen«, sagte der junge Polizist sofort.
»Ich würde natürlich darauf bestehen, dass unsere tapferen Polizisten, die Rettungssanitäter und Feuerwehrleute freien Eintritt erhalten.«
Johanna und Scathach schlüpften unter dem flatternden Absperrband durch und bahnten sich einen Weg zwischen den Trümmerhaufen hindurch. Ein Teil war praktisch nur noch Staub, doch einige der größeren Bruchstücke ließen noch geisterhaft die Figuren erkennen, zu denen sie gehört hatten, bevor die Zwillinge ihre vereinten Kräfte eingesetzt hatten. Scatty sah Andeutungen von Klauen und Schnäbeln, ausladenden Hörnern und geringelten Schwänzen. Neben einer verwitterten Hand lag eine steinerne Kugel. Sie warf Johanna einen kurzen Blick zu, dann besahen sich die beiden Frauen die Vorderseite der Kathedrale. Der Schaden war verheerend. Signifikante Teile des Gebäudes fehlten, waren abgebrochen oder abgerissen, und an manchen Stellen sah es aus, als sei eine Abrissbirne dagegengedonnert.
»So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht
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