Nicholas Flamel Bd. 5 Der schwarze Hexenmeister
Abraham mich angekündigt?«
»Nein. Ich weiß schon seit langer Zeit von dir … seit sehr langer Zeit.« Er blickte auf die Anpu-Wachen und dann auf die Steinketten in ihren Händen. »Sind diese Fesseln nötig?«, fragte er.
»Dein Bruder scheint es zu glauben«, erwiderte Marethyu. Als er lächelte, waren seine kleinen weißen Zähne zu sehen. »Er hat sogar großen Wert darauf gelegt.«
Aten drückte seine langen Zähne in die Unterlippe. »Ich gehe recht in der Annahme, dass sie nutzlos sind?«
»Vollkommen.« Ein Knistern ging durch die Luft, es roch säuerlich und ein Schatten umschwirrte den einhändigen Mann. Es knackte in den Steinketten und sie zerfielen zu Staub. Die Anpu-Wachen wichen entsetzt zurück und versuchten hektisch, ihre Krummschwerter zu ziehen. Marethyu rieb sich das linke Handgelenk.
Aten blickte in die Runde der schakalköpfigen Wachen. »Lasst uns allein«, befahl er, drehte sich um und ging zurück in den Raum.
Verwirrt schauten die Anpu von einem zum andern und dann zu Marethyu. Der grinste und wedelte mit der Hand. »Seid brave Hündchen und verschwindet.« Er folgte dem Älteren in den Raum und schloss dann die Tür hinter sich. Obwohl die Türflügel so dick waren wie sein Körper, ließen sie sich geräuschlos und ohne jede Anstrengung schließen. »Dein Bruder wird darüber nicht glücklich sein«, vermutete Marethyu.
»Anubis ist in letzter Zeit kaum noch glücklich. Er ist der Meinung, ich sollte dich umbringen.«
»Allein schon der Versuch wäre ein Fehler.« Lächelnd wandte Marethyu sich dem Herrscher von Danu Talis zu. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele das schon versucht haben.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und blickte sich in dem riesigen runden Raum um. Unter der hohen Decke schwebte eine kleine künstliche Sonne, die ihn ausleuchtete. Er nickte anerkennend. »Archon-Technologie hat mich immer begeistert. Wie lange brennt sie schon?«
Aten wedelte mit der schmalen Hand. »Das hier ist bereits die zweite. Sie erleuchtet diesen Raum seit über tausend Jahren. Aber es ist die Letzte von ihrem Typ. Wenn sie erlischt, werden wir auf etwas Primitiveres zurückgreifen müssen.«
In dem runden Raum standen keine Möbel. Die Wände aus massivem Gold und die silberne Decke wiesen keinerlei Schmuck auf. Der gesamte Boden allerdings bestand aus goldenen und silbernen Fliesen, die eine Art Labyrinth darstellten – eine Landkarte von Danu Talis. Für die Wasserwege hatte man silberne Fliesen genommen, und das schimmernde Licht vermittelte den Eindruck, als sei das Wasser tatsächlich in Bewegung.
Aten stellte sich mitten in das Labyrinth und wandte sich dann wieder Marethyu zu. Seine großen gelben Augen leuchteten golden im Licht der künstlichen Sonne, das die Wände reflektierten. »Diesen Boden habe ich in einer Ruine aus der Zeit der Erstgewesenen mitten in der Wüste gefunden. Ich vermute, dass es einmal die Decke einer Kathedrale war.« Er bückte sich und strich mit den Fingern darüber. »Ich habe meine Stadt nach dieser Vorlage erbauen lassen. Die Vorstellung, dass ein uraltes Muster den Grundriss einer modernen Stadt bilden könnte, gefiel mir.«
»Ich habe das Muster schon einmal gesehen.« Marethyu ging an der Wand entlang um das Labyrinth herum. »Es liegt auch über der Humani-Welt, reicht bis in die Schattenreiche und darüber hinaus.« Er legte die Arme auf den Rücken, neigte den Kopf zur Seite und bewunderte das Muster. »Es ist vollständig.«
»Kein einziges Stück fehlt.«
»Unsere Vorfahren haben Erstaunliches geleistet«, meinte Marethyu. Dann blickte er den Älteren an. »Dieser Meinung bist du doch auch, oder?«
Aten ging nicht darauf ein, sondern fragte stattdessen: »Hast du keine Angst vor mir?«
Marethyu schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen Grund, dich zu fürchten. Aber du fürchtest mich«, fügte er leise hinzu. »Habe ich recht?«
»Ich fürchte das, wofür du stehst.«
»Und was ist das?«
»Der Tod meiner Welt.«
Wieder schüttelte Marethyu den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Ich bin hier, um sicherzustellen, dass deine Welt – diese außergewöhnliche, fantastische Welt, die du geschaffen hast – weiterbesteht.«
Aten schritt über das Labyrinth und baute sich vor dem Mann mit der Hakenhand auf. Marethyu blieb gelassen und blickte ungerührt zu ihm auf.
Der Ältere kniff die gelben Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Machst du dich über mich lustig?«
»Nein«, antwortete Marethyu ernst. Er hob den
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