Nicht alles Kraut ist grün
Liebesbrief für Sie«, sagte ich.
»So? Was steht denn drin?«
Ich gab ihm die Vorladung.
»Das ist ja schon morgen früh«, sagte er. »Um zehn.«
»Ganz recht.«
»In El Centro.«
»Da werde ich mich wohl nicht drücken können...«
»Ich habe auch eine«, sagte ich.
»Und ich?« fragte Nanncie.
Ich schüttelte den Kopf. »Sie spielen im Augenblick nicht mit. Jedenfalls nicht auf offener Bühne.«
Ich sah Hale scharf an und fuhr mit Betonung fort: »Und ich weiß, daß niemand Ihren Namen in diese unangenehme Geschichte hineinziehen wird. Tja, es ist spät geworden. Kommen Sie, ich spendiere Ihnen beiden einen Drink.«
Hale zog sich mühsam aus seinem Liegestuhl hoch.
»Ich dusche schnell und ziehe mir ein Kleid über«, sagte Nanncie. »Es dauert nur ein paar Minuten.«
»Wir treffen uns dann an der Bar«, sagte ich.
Hale wankte stöhnend in Richtung Bar. Ich blieb unvermittelt stehen. »Komme gleich nach«, sagte ich. »Ich hab’ noch was vergessen.«
Ich ging schnell zu Nanncie zurück, die gerade aufstand.
»Packen Sie Ihre Sachen zusammen«, sagte ich. »Sie müssen fort von hier.«
»Warum?«
»Damit Ihr Name nicht in die Presse kommt.«
»Aber wie soll ich denn von hier wegkommen?«
»Ich bringe Sie weg.«
»Wohin?«
»An einen Ort, wo niemand nach Ihnen suchen wird. Reden Sie mit niemandem darüber. Kommen Sie zu einem Drink an die Bar, dann entschuldigen Sie sich unter einem Vorwand und gehen auf Ihr Zimmer. Dort rufe ich Sie an.«
Ich holte Hale ein. An der Bar genehmigten wir uns einen Margarita, ein fabelhaftes mexikanisches Feuerwasser, das einem in Gläsern serviert wird, deren Ränder in grobkörniges Salz getaucht worden sind.
Dann kam Nanncie, und wir tranken die zweite Margarita-Runde zu dritt.
Hale hatte sich offenbar darauf eingerichtet, sich auf meine Kosten ausgiebig die Nase zu begießen. Ich verabschiedete mich schnell mit der Bemerkung, ich hätte noch zu arbeiten.
Nanncie erklärte, mehr als einen Drink vor dem Essen sei sie nicht gewohnt, und überließ Hale ebenfalls seinem Schicksal.
Es klappte alles wie geprobt. In Rekordzeit hatte Nanncie alle ihre Sachen in einem Koffer und einer dicken Tasche verstaut.
Ich gab einem Pagen ein Trinkgeld, und während Hale noch in der Bar hockte, rollten wir schon davon.
»Wohin fahren wir?« wollte Nanncie wissen.
»An einen nur wenig von der Zivilisation belegten Ort«, sagte ich.
»Nämlich?«
»Haben Sie schon mal was von El Golfo de Santa Clara gehört?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es ist ein Ort am Golf auf der Sonora-Seite. Sauber, abgelegen, malerisch und romantisch. Es hat ein Motel, das recht anständig ist, einige sehr gute Restaurants, in denen man frisch gefangene Seetiere bekommt und Garnelen, die fast so groß sind wie kleine Hummer. Nur einen Nachteil hat es —«
»Ja?«
»Das Wasser in der Dusche hat Raumtemperatur, wie sie dort vornehm sagen.«
»Was ist Raumtemperatur?«
»In den Räumen pflegt es dort morgens verdammt kalt zu sein...«
»Wie lange muß ich da bleiben?«
»Bis ich Sie wieder abhole. Kein Reporter wird Sie dort aufstöbern. Niemand wird Sie finden, nicht einmal Sergeant Frank Sellers von der Kriminalpolizei Los Angeles, der vermutlich nach Ihnen suchen wird.«
Wir fuhren los. Es war eine lange Fahrt, aber der Aufwand lohnte sich. El Golfo de Santa Clara lag noch für den findigsten Reporter geradewegs am Ende der Welt.
14
Selbst wenn man die Abkürzung über Puertocitos und Riito wählt, ist es ein langer Weg von Mexicali nach El Golfo de Santa Clara. Aber eins war sicher: In El Golfo würde niemand eine verschwundene Zeugin suchen.
Von Riito ab verläuft die Straße schnurgerade und sehr wenig befahren durch kahle Wüstenlandschaft. Dann flacht das Gelände allmählich ab, und man kommt zum Golf.
Nach ein paar Meilen erscheint dann El Golfo de Santa Clara, ein kleines malerisches Fischerdorf. Die Fischereiflotte wird von einem uralten Kahn betreut, der als eine Art schwimmendes
Taxi von Boot zu Boot fährt und Fische und Fahrgäste an Land bringt.
Die Fische sind für die Restaurants am Ort bestimmt. Es ist der Überschuß von den Fängen, die zum Großverkauf in der Stadt eingefroren werden.
Von hier bezieht auch Kalifornien seine Muschellieferungen. Während der Ebbe sind die dichtbesiedelten Muschelbänke meilenweit zugänglich. Die Fischer fahren mit ihren leichten Booten so nah wie möglich heran, warten, bis die Flut abläuft, und sammeln dann ihre
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