Nicht die Bohne!
aufgegessen haben, was die freundliche Servicekraft uns serviert hat, hören wir auf zu weinen, und Hannes ist an der Reihe, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen.
Er ist einunddreißig Jahre alt und kommt aus Hamburg. Er ist Journalist, arbeitet bei dem hiesigen Tagesblatt und schreibt unter anderem eine wöchentliche Kolumne über das Leben. Darüber hinaus ist er schwul, was ihm einen völligen Bruch mit seiner Familie bescherte, weswegen er sich schon seit fünf Jahren in Therapie befindet. Mal ganz ehrlich: Wie erfolgreich ist eine Therapie, wenn sie nach fünf Jahren noch nicht ein Fitzelchen an Erleichterung gebracht hat? Das wage ich natürlich nicht zu sagen, und so tätschle ich nur stumm und mitfühlend seine Schulter, als er über seine Mutter spricht, die wiederum seit acht Jahren nicht mehr mit ihm spricht. Es gibt wirklich seltsame Eltern.
Er hat auch einen Freund. Einen allem Anschein nach exorbitant gut aussehenden Freund mit Sixpack, der auch noch ein Held ist und aufseiten des Gesetzes für Recht und Frieden kämpft. Was genau er macht, will Hannes mir allerdings nicht erzählen. Top secret, sagt er. Ansonsten bin ich aber nach fast zwei Stunden bestens über sein Leben informiert. Auch über die Tatsache, dass Hannes gerade dabei ist, seinen gesamten Hausstand aufzulösen und Mr. X (also dem geheimnisvollen Freund mit dem Waschbrettbauch) nach London zu folgen.
»Ist sein Name Bond?«, frage ich aufgeregt, und Hannes legt mit einem leicht süffisanten Grinsen den Kopf schräg. »Manchmal«, haucht er und klaubt die letzten Krümel des Buttercroissants auf.
Wir können uns gar nicht voneinander lösen, und nachdem wir uns dreimal erfolglos verabschiedet haben, diagnostiziert Hannes eine Seelenverwandtschaft. Schade, dass er auswandert – er hat es nämlich geschafft, mein extrem in Schieflage geratenes Selbstwertgefühl wieder aufzurichten. Es ist schon seltsam: Wir kennen uns kaum, und trotzdem fühle ich mich in seiner Gegenwart so wohl wie am Zuckerwattestand auf dem Weihnachtsmarkt.
Als wir es dann endlich schaffen zu zahlen und aufzustehen, fragt Hannes mich schüchtern: »Darf ich mal anfassen?«
»Was?«, frage ich zurück, und er nickt vorsichtig Richtung Bohne.
»Da ist doch noch nix!«, antworte ich lachend. Trotzdem nehme ich seine Hand und lege sie auf meinen Bauch.
»Da ist ein Mensch drin«, flüstert Hannes ergriffen.
»Eine Bohne, Schätzchen«, korrigiere ich. »Der Mensch sieht in diesem Stadium noch aus wie eine Bohne.«
Nachdem wir uns die E-Mail-Adresse und sämtliche verfügbaren Telefonnummern des anderen notiert haben, gelingt es uns schließlich, getrennter Wege zu gehen. So viele Menschen trifft man in seinem Leben. Viele hat man schon fünf Minuten später wieder vergessen, aber manchmal trifft man ganz unerwartet den einen, der zur richtigen Zeit das Richtige sagt, und die Welt ist plötzlich nicht mehr ganz so grau und kompliziert.
Meiner Seele geht es ein ganz klein wenig besser, schließlich ist mir und meiner Entscheidung für die Bohne ausgiebig gehuldigt worden, das tat wirklich gut.
Lust auf Shopping habe ich nach wie vor nicht, dennoch muss ich jetzt anfangen einzukaufen. Es ist schrecklich voll in den Läden, und ich bin sehr zügig schrecklich genervt. In Rekordgeschwindigkeit shoppe ich mich durch alle Geschäfte und bin zwei Stunden später fertig. Mit den Nerven, meinem Konto und zum Glück auch den Weihnachtseinkäufen.
Da ich sowieso schon total erledigt bin, beschließe ich, endlich das Arbeitsamt aufzusuchen. Schlimmer kann es nicht werden. Es ist Donnerstag, siebzehn Uhr dreißig, und das Amt hat laut Auskunft im Internet bis neunzehn Uhr geöffnet. Also schleppe ich meine Einkäufe zu meinem Auto, verstaue die unzähligen Tüten und düse los.
Kapitel 9
Ich finde einen Parkplatz direkt vor der Tür und betrete die heiligen Hallen der »Agentur für Arbeit«, wie sie sich nennt. Klingt irgendwie gut. So kreativ. Agentur für Arbeit. Beschwingt von diesem klangvollen Namen laufe ich über die Flure und suche nach dem korrekten Sachbearbeiter für mich und mein Anliegen. Ich treffe nur wenige Leute – so kurz vor Weihnachten ist vermutlich niemand arbeitslos.
Dafür ist der fast menschenleere Flur mit kleinen Boxen gesäumt, in denen Computer stehen. Diese Boxen, samt Computer, sind farblich mit dem Teppichboden abgestimmt: ocker und gelb. Das Farbkonzept lässt definitiv zu wünschen übrig. Einige Computerarbeitsplätze und Flure
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