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Nicht die Bohne!

Nicht die Bohne!

Titel: Nicht die Bohne! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Steffan
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erscheint das eine sehr einleuchtende und nicht weiter zu hinterfragende Erklärung für meinen Zustand zu sein, und so gebe ich mich dieser Trauerphase voll und ganz hin.
    Wenn ich nicht esse, sehe ich fern, ansonsten telefoniere ich. Mein großer Bruder meldet sich jeden Tag, was ich sehr süß finde. Auch Herr Dr. Clemens Morgenroth setzt mich mindestens einmal täglich davon in Kenntnis, welch heroische Taten er schon für mich vollbracht hat. Das finde ich auch ganz süß.
    Außerhalb meiner Trauerhöhle herrscht der pure Stress. Alle leiden unter latenter vorweihnachtlicher Hysterie: zu viele Weihnachtsfeiern, zu wenig Geld auf dem Konto, noch keine Geschenke oder zu viel Arbeit. Einige, wie Mara, haben alles zusammen. Und da ich ja völlig stressfrei zu Hause herumlungere, unterbreche ich meine eigene Trauerphase gern, um in diesen schweren Zeiten als seelischer Mülleimer zu fungieren.
    Seltsam. Während die Menschen so kurz vor dem 24. Dezember noch einmal an Tempo zulegen, um dann an Heiligabend völlig überlastet zusammenzubrechen, liege ich bereits jetzt entschleunigt und entspannt auf meinem Sofa. Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert, bisher bin ich immer an vorderster Front mit den anderen umhergejagt.
    Ich liege also so rum, und manchmal muss ich heulen. Manchmal geht es mir allerdings auch ganz gut. Nach sechs Tagen Höhlenphase schaffe ich es morgens schon um halb elf aus dem Bett und wanke ins Bad. Seit dem 16. Dezember muss ich nicht mehr kotzen (übrigens der erste Tag ohne Dr. Arsch – ein Zeichen?), und ich kann auch wieder normale Lebensmittel konsumieren. Sogar Kaffee löst nicht mehr umgehend einen Brechreiz aus, und seitdem ich im Schröders den Espresso getrunken habe, weiß ich: je weniger und je stärker, desto besser.
    Ich habe es also vom Bett ins Bad geschafft, wo ich mir mein altes Snoopy-Schlaf-Shirt über den Kopf zerre und es mit einer lang geübten Rotationsbewegung der rechten Hand gekonnt wie Michael Jordan über die linke Schulter in den Wäschekorb hinten in der Ecke werfe. Mein Blick fällt bei dieser lässigen Bewegung in den Spiegel und ich sehe … eine leichte Wölbung direkt unter dem Bauchnabel.
    Mir fällt doch glatt die Kinnlade gen Fußboden, und ungläubig versuche ich den Bauch einzuziehen. Geht nicht. Der Bauch lässt sich nicht einziehen. Ob Juttas Fütterung daran schuld ist? Dafür fällt mir eine Etage höher noch etwas auf: Ich habe dicke Titten bekommen. Ich muss es so bezeichnen, weil es so ist. In unschwangerem Zustand bin ich grundsätzlich mit einem flachen Bauch gesegnet, aber leider auch mit flachen Brüsten und einem Hintern, der im Gesamtbild überhaupt nicht auffällt. Einen Hintern habe ich zwar immer noch nicht, aber dafür jetzt Titten. Alter Falter, ich hebe die Hände und greife mir fassungslos an die Brüste. Vorher hatten sie in der hohlen Hand noch etwas Platz. Jetzt quellen sie über.
    Das alles muss in dieser Woche der Höhlenisolation passiert sein. Da ich seit einer Woche nur bequeme Jogginghosen und alte Shirts ohne BH trage, habe ich wohl einen ganz entscheidenden Teil nicht mitbekommen. Jetzt ist nicht mehr nur mein Uterus schwanger, der Rest meines Körpers gibt sich wirklich Mühe aufzuholen.
    Ich fühle mich fast ein bisschen fremd, und ohne etwas überzuziehen, laufe ich ins Wohnzimmer, um endlich den Schwangerschaftsratgeber zurate zu ziehen, den Andrea mir per Amazon ins Haus gejagt hat. Bis jetzt habe ich den mit rosa Bärchen verzierten Wälzer nur verächtlich von einer Ecke in die andere getragen. Aber jetzt ist der Moment der Wahrheit gekommen. Nackt sitze ich auf dem Sofa und blättere wie wild vor zur richtigen Stelle. Seite 113: Das erste Trimester. Klingt wie Schulanfang. Ich muss gestehen, dass mir beim Blättern meine Brüste etwas im Weg sind. Ich hatte ja noch nie welche und muss mich anscheinend erst an den Umgang mit ihnen gewöhnen.
    Folgende Informationen stehen auf Seite 113: Die Bohne ist jetzt sechs Zentimeter groß und wiegt ungefähr acht bis vierzehn Gramm. Die embryonale Phase (wenn ich die ersten 112 Seiten gelesen hätte, wüsste ich jetzt, was das bedeutet) ist abgeschlossen, und alle Organe sind jetzt in der Bohne angelegt. Klingt doch erst mal ganz gut.
    Ich sollte mich laut Ratgeber zwar schwanger fühlen, aber noch nicht so aussehen. Während ich diese Zeilen lese, schieben sich meine Brüste von unten in mein Sichtfeld. Nicht schwanger aussehen? Wo kommen dann diese Monster

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