Nicht die Bohne!
Jogginghose in Lila. Kurz erkläre ich ihm die Sache mit der Trauerphase und der damit einhergehenden Verwahrlosung, aber Tom nickt nur. Wortlos zerrt er aus seiner großen Umhängetasche zwei Packungen Eiscreme. Da er immer mal wieder verlassen wird und dann wochenlang selbst in Trauer versinkt, hat er offenbar einen sechsten Sinn für solche Phasen, und so sitzen wir in stiller Eintracht auf meinem Sofa und widmen uns Mega-Choc und Bourbon-Vanille in Karamellsoße.
Als ich ihm die Ultraschallbilder der Bohne zeige, wird mein Bruder seltsam rührselig. Also, rein optisch. Seine Augen bekommen einen ganz leichten feuchten Schimmer, sagen tut er nichts. Da er gerade zwei Löffel Mega-Choc im Mund hat, ist das technisch aber auch gar nicht möglich.
Am nächsten Tag ist Heiligabend. Ich liebe diesen Tag. Wie immer feiern wir alle auf dem Hof meiner Eltern. Und wie immer seit zehn Jahren gibt es irgendeine undefinierbare Gemüsepampe als Festmahl. Vorbei die Zeiten der fetten Gans mit Klößen und Rotkohl. Trotzdem ist es richtig gemütlich, und ich werde reichlich beschenkt. Sogar die Bohne bekommt etwas. Natürlich von der Großmutter in Lauerstellung: einen kleinen Teddy. Das finde ich so süß, dass ich wieder … heulen muss, bingo! Johannes, Andreas Mann, ist ganz von den Socken, dass seine Schwägerin plötzlich so nah am Wasser gebaut hat. So kennt er mich halt nicht. Den ganzen Abend versucht der Arsch mich mit rührseligen Geschichten und seinem herzigen Dackelblick zu weiterem öffentlichen Tränenvergießen zu bewegen, aber ich schaffe es irgendwie, standhaft zu bleiben.
Am ersten Feiertag treffen wir uns wieder, um die Reste der undefinierbaren Gemüsepampe zu verspeisen, und für den zweiten Feiertag habe ich all meine Mädels zu mir eingeladen. Es wird ein toller Abend, und irgendwann bemerkt Jutta trocken, dass dies ja wohl das letzte Weihnachten alleine sein wird. Was mich natürlich nachhaltig erschüttert und umgehend wieder zu einer optischen Inkontinenz führt. Das letzte Jahr so ganz vogelfrei. Ich will mich gar nicht mehr beruhigen, bis Mara schließlich mit düsterer Stimme meint, ich solle mich nicht so anstellen, dafür könne ich nächstes Jahr endlich wieder saufen wie ein Loch.
An den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr pflege ich noch ein wenig meine mittlerweile lieb gewonnene Trauerphase, und dann verabschiede ich mit meinen Mädels das alte und begrüße das neue Jahr. Das Jahr der Bohne, wie ich es insgeheim getauft habe. Und noch insgeheimer: das Jahr der dicken Brüste! Noch nie konnte ich mit meinem Dekolleté ein solches Aufsehen erregen wie auf dieser Silvesterparty. Zugegeben: Ich bin noch etwas unbeholfen im Umgang mit sehr üppigen 75 B, und so habe ich die zwei kurzerhand unter dem tief ausgeschnittenen Kleid festgetapt. Aber der Erfolg war durchschlagend. Alles, was über Testosteron im Blut verfügte, lag mir zu Füßen. Einschließlich Eugen, Justines Dackelmischling, der den ganzen Abend nicht von meiner Seite wich.
Gleich am 4. Januar habe ich den nächsten Vorsorgetermin. Morgens um acht studiere ich allerdings erst mal Seite 120 bis 123 in meinem Schwangerschaftsratgeber, damit ich informiert bin. Das Kapitel über die vierzehnte Woche ist allerdings wenig aufschlussreich. Die Bohne könnte jetzt schon neun Zentimeter lang sein, wenn mein Brustwachstum ihr nicht sämtliche Energie für dieses Kunststück geraubt hat. Sonst steht da nur Blabla. Zum Beispiel soll ich die Schwangerschaft nun meinem Arbeitgeber mitteilen. Schon passiert, Job weg. Und dann steht da noch, dass es gerade jetzt für Frauen besonders schön ist, von ihrem Partner mit wohltuenden ätherischen Ölen massiert zu werden. Ich habe weder das eine noch das andere. Und ganz sicher werde ich weder einen neuen Partner noch stinkendes Öl auf meine Liste der dringend benötigten Dinge setzen.
Mein Blick fällt auf den halb vollen Becher mit Wackelpudding vor meiner Nase. Ich schiebe ihn zur Seite. Ich habe jetzt Lust auf Sushi. Ein Bedürfnis, das man in Anbetracht der Uhrzeit durchaus als sonderbar bezeichnen kann. Die Wackelpudding-Phase scheint jedoch definitiv abgeschlossen zu sein. Mit leichtem Ekel betrachte ich den grünen Glibber in dem durchsichtigen Becher. Offensichtlich beginnt jetzt die Ära des Fisches.
Da ich Tom schon ein paar Tage nicht gesehen habe, ließe sich dieses Bedürfnis doch hervorragend mit einem Besuch von meinem lieben Bruder verbinden. Umgehend wähle ich seine
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