Nicht die Bohne!
Nummer.
»Ja«, meldet er sich völlig verschlafen nach dem fünften Klingeln. Es ist noch vor neun.
»Hast du Zeit?«, frage ich.
»Paula! Ist was passiert?« Er ist plötzlich hellwach, und ich bin erschrocken. Was soll denn passiert sein?
»Nein, alles ist gut!«, sage ich schnell. Übertriebene Sorge kenne ich von meinem Bruder nun nicht so.
»Hast du heute Nachmittag schon was vor?«, frage ich also kurzerhand.
»Was’n?«, fragt er zurück, und ich erläutere kurz mein dringendes Bedürfnis nach Fisch auf kleinen Reisbällchen.
»Schwanger sein macht dich komisch«, kommentiert er trocken. »Bin um drei da. Aber ohne Sushi. Keinen rohen Fisch für Schwangere. Höchstens vegetarisches«, fügt er hinzu.
Na toll. Früher dachte ich, eine Frau mit Bohne im Bauch darf keinen Alkohol trinken. Heute weiß ich: Nahezu alle meine Lieblingslebensmittel stellen eine potenzielle Gefahr dar. Zum Beispiel Rohmilchkäse, Tiramisu und Salami. Und die Liste wird tagtäglich länger. Jetzt auch noch Sushi! Noch sechsundzwanzig Wochen ohne Nigiri und Sake Maki. Das Leben ist fürwahr kein Ponyhof. Kein Job, kein Mann, kein roher Fisch. Dafür einen Bruder, der offenbar Schwangerschaftsratgeber liest. Und zwar deutlich aufmerksamer als seine Schwester.
Ich beende das Gespräch, als es an der Tür klingelt. Ziemlich früh für Besuch, weshalb mein neuerdings so fürsorglicher Bruder mich noch schnell eindringlich ermahnt, keine fremden Männer in die Wohnung zu lassen. Es ist aber nur der Postbote, der mir ein Päckchen in die Hand drückt. Ich bedanke mich und will schon die Tür schließen, als es leise »Halt« durch den Türschlitz ruft. Okay, Tür wieder auf. Freudestrahlend hält mir der Postbote den Braunschweiger Kurier entgegen, das kostenlose Käseblatt der Region, welches vom Zusteller immer in Hunderterpaketen im Hauseingang abgelegt wird.
»Habe ich Ihnen mit nach oben gebracht!« Der Postbote muss Mitte vierzig sein, doch er strahlt mich an wie ein kleiner Junge. Freundlich lächle ich zurück und sage artig: »Danke.«
»Müssen Sie nicht extra runterlaufen.«
Wäre ich nicht. Ich lese das Ding schließlich nie. Stehen nur blöde Berichte über Hasenzüchter und Autohaus-Jubiläen drin. Aber der Postbote ist offenbar in Plauderlaune.
»Schön, danke«, sage ich noch mal.
»Sie sehen gut aus, Frau Schmidt«, platzt es plötzlich aus ihm heraus, und ich muss kurz an Toms Warnung mit den fremden Männern in meiner Wohnung denken.
Dieser Mensch vor meiner Tür verhält sich seltsam. Er hat mir schon oft Päckchen gebracht, aber er war nie nett zu mir, geschweige denn, dass er mir mitgeteilt hätte, ich sähe gut aus. Was, rein objektiv betrachtet, auch nicht der Fall ist. Ich bin sozusagen vor einer halben Stunde aus dem Bett gekrochen und hatte noch keine Zeit für Restaurationsarbeiten.
»Schön, danke.« Ich wiederhole mich. Er nickt mir noch einmal sehr freundlich zu und springt dann, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. Hat die deutsche Post begonnen, ihren Mitarbeitern Antidepressiva in den Kaffee zu kippen? Etwas ratlos blicke ich ihm hinterher.
Dann laufe ich zurück in meine Küche und reiße den Karton auf. Zwei weitere Schwangerschaftsratgeber erblicken das Licht der Welt. So rein optisch beide ganz böser Stoff. Der eine ist himmelblau mit kleinen Herzchen in Schrillrosa drauf, und der andere heißt Das Mami-Lesebuch . Oha, ein kurzer Blick hinein lässt mich schmerzhaft das Gesicht verziehen.
Bilder von Frauen in allen Stadien der Schwangerschaft mit einem glückseligen Grinsen blicken mich von nahezu jeder aufgeblätterten Seite an. Unten springen mir die Worte »Blähungen« und »Hämorriden« ins Auge und oben lächelt eine blonde Frau mit einer Tasse Tee in der Hand fröhlich und tiefenentspannt in die Kamera. Hätte sie Krampfadern am Arsch, würde sie sich doch wohl nicht so freuen, oder doch?
Angewidert werfe ich die Bücher auf meine Küchentheke und nehme mir noch einen Kaffee. Mein Blick fällt auf den Braunschweiger Kurier . Zögerlich schlage ich ihn auf und blättere so lange weiter, bis ich auf der Seite mit den Stellenangeboten ankomme. Na, wenn ich schon mal hier bin …
Ich lese Stellenangebote für Lagerarbeiter, Gärtner, Fleischereifachverkäuferinnen, Sonnenstudiomitarbeiterinnen, und gerade will ich mir genervt einen weiteren Kaffee holen und doch lieber die neuen Ratgeber studieren, da stoße ich auf folgenden Anzeigentext:
»Ökologisch
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